Les feuilles mortes...

Robin Telfer inszeniert Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“

von Frank Becker

v.l.: An Kuohn, Maresa Lühle - Foto ©  Michael Hörnschemeyer

Les feuilles mortes...
 
Robin Telfers Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Drama „Die Ratten“
glänzte vor allem durch die Leistung seines brillanten Personals.
 
Inszenierung: Robin Telfer – Bühne: Siegfried E. Mayer - Hammondorgel: Günter Lehr  
Besetzung: Pauline (Maresa Lühle) – Frau John (An Kuohn) – Herr John (Thomas Braus) – Theaterdirektor (Bernd Kuschmann) – seine Tochter (Anja Barth) – Eleven (Deszö Körmendy, Henning Heup) – Pastor Spitta (Hans Richter) – Selma (Sonia Hausséguy) – Sidonie Knobbe (Ingeborg Wolff)
 
Das Bühnenbild wird aufmerksamen Zuschauern bekannt vorgekommen sein: Robin Telfer zollte dem Sparkurs der Wuppertaler Bühnen Tribut und verwendete für seine Inszenierung von Gerhart Hauptmanns bürgerlicher Tragikomödie „Die Ratten“ die Kulissen, in denen er schon den „Woyzeck“ inszeniert hatte – und es paßte. Schlüssig fügte Siegfried E. Mayer eine multifunktionale Zentralbühne hinzu und bezog die Unterbühne als Treppenstiege ein.
 
Im dargestellten Berlin um 1910 ist der Dachboden einer Mietskaserne zum Kostümfundus und Probenbühne eines verkrachten Theaterdirektors und zur Notwohnung des kinderlosen Ehepaars John geworden, Tummelplatz eines tragikomischen Panoptikums aus dem Leben gefallener Personen. Geschickt wechselt die offene Szene ihre Bedeutung, ist mal Marktplatz der Eitelkeiten und mal Scheinidylle („Adelheid, schenk mir einen Gartenzwerg“). Daß das schwangere polnische Dienstmädchen Pauline (Maresa Lühle) nicht weiß wohin mit dem ungewollten Kind, scheint ein Glücksfall für Frau John (An Kuohn) zu sein, die es ihr abschwatzt, um es ihrem Mann (Thomas Braus) als eigenes auszugeben. Das Vorhaben scheitert an der erwachenden Mutterliebe Paulines und endet fatal: Mord und Suizid.
Während das Drama unaufhaltsam seinen Verlauf nimmt, spreizen sich auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten der Theaterdirektor (superb: Bernd Kuschmann), seine Eleven (amüsant als Synchrondarsteller Deszö Körmendy und Henning Heup) und seine kokette Geliebte (Julia Wolff). Telfer hat hier Schauspieler aus der ersten Riege und Nebenfiguren mit genialer Live-Musikuntermalung (Hammondorgel: Günter Lehr) zu exorbitanten Kabinettstückchen geführt: Hans Richter als hinreißender Pastor Spitta bekam Szenenapplaus, Frederik Leberle als sein Sohn Erich, der das Theater und die Tochter des Prinzipals (Anja Barth) der Theologie vorzieht, begeisterte durch seine wundervolle Sprache und Sonia Hausséguy zeigte in ihren oft nur marginalen Auftritten als Selma enorme Bühnenpräsenz und Qualität. Die sollte man ans Haus binden!
 

vorne: Ingeborg Wolff, im Hintergrund:
Deszö Körmendy und Henning Heup - Foto ©  Michael Hörnschemeyer

All das war gut, teils hervorragend. Den stärksten Eindruck jedoch hinterließ Ingeborg Wolff in ihrem unvergeßlichen Auftritt als im Gespinst ihrer Erinnerungen gefangene drogenabhängige Sidonie Knobbe. Während die Welt um sie herum im Chaos versinkt und ihr Kind verreckt, singt sie unbeirrt und tief berührend das Chanson ihres Lebens: „Les feuilles mortes“. Das war zum Weinen gut und ließ sogar gewisse dialektbedingte Mängel im Stück sowie den herbeigezwungenen Schluß: „Mutter John hat sich umgebracht! – Kommt, Kinder, hier können wir weiter nichts tun.“, gnädig vergessen. Chapeau, Mme. Wolff!
 
Noch zu sehen am 25.3., 30.3. und 8.4.06.
 
Frank Becker, 2.3.06