Ein Tanz auf dem Vulkan

„Jedermann“-Gastspiel des neuen theater halle

von Frank Becker

Ein Tanz auf dem Vulkan
 
„Jedermann“-Gastspiel des neuen theater halle
 
Auftritt Jedermann mit Narrenkappe: eine lateinische Rede ans Publikum entpuppt sich übersetzt als die Feststellung: „Es ist der 11.11., 11 Uhr 11 – Wolle mer se reinlasse?“ Das amüsierte Publikum im gut besuchten Forum Niederberg ging mit einen kräftigen „Jaaa!“ mit und die Hallenser Funken zogen mit Klatschmarsch zu den Klängen des „Treuen Husar“ ein. Eine passende Anfangspointe kurz vor dem Höhepunkt der 5. Jahreszeit.
 
Manfred Wekwerths „Jedermann“-Inszenierung mit dem Ensemble des neuen theater halle (2001) kam, eng an alte Traditionen gebunden, auf die sich schon Hugo von Hofmannsthal berief, als modernes Fastnachtsspiel daher. Keine Posse, beileibe nicht – Wekwerth schmälerte die Moral an keiner Stelle, fügte im Gegenteil noch aktuelle Streiflichter hinzu und blieb auch bei dem heute etwas süßlich bigott anmutenden Hofmannsthalschen Schluß. Wir kennen die Geschichte vom Sterben des reichen Mannes – der hier noch deutlicher als zuvor von Hilmar Eichhorn im ständigen Dialog mit dem Publikum als Du und Ich gezeichnet wird. Mit dem als Priester und als der Teufel pikant doppelt besetzten Siegfried Voß, der wandlungsfähigen Elke Richter als Ehefrau, Joachim Unger als wetterwendischem Gesell und Jörg Simonides als der Tod stand neben dem Format füllenden Eichhorn eine ausgezeichnete Schauspieltruppe auf der Bühne.
Die Vorladung zum Jüngsten Gericht ignoriert Jedermann nur zu gerne, gibt statt dessen ein Fest für alle, die sich Freunde nennen, jedoch nur auf das Geld des Prassers aus sind. So stehen denn auch aufgereiht Geldkoffer „für nützliche Freunde“ da. Für wen, sagt er nicht: „Ich gab mein Ehrenwort“ – Helmut Kohl ließ grüßen. Das Fest erfährt durch die berühmten, hier fast freundlichen „Jedermann“-Rufe eine jähe Unterbrechung, doch der Tanz auf dem Vulkan zur Musik von Richard Strauss „Also sprach Zarathustra“ in der Adaption von Eumir Deodato geht weiter. Erst als der Tod in die Runde tritt, verbreitet sich Entsetzen und alle lassen den Gezeichneten im Stich. Die Rückzugswortgefechte von Ehefrau, Gesell, Buhlschaft und Hausvogt geraten zur feinen Satire. Im Mammon, der letzten irdischen Bastion des Verlassenen, skizziert Wekwerth, seinem Lehrmeister getreu, eine klassisch Brechtsche Figur.
 
Doch auch mit einer Not-OP, die sich der Reiche leisten kann, ist die Unsterblichkeit nicht zu kaufen. Modest Mussorgskis „Nacht auf dem kahlen Berge“ hängt drohend über der Szene, als Wekwerth diesen Hieb gegen die Regenerations-Medizin führt. Mit der Erkenntnis: „Denn in die Hölle kann ich nicht mehr fahren, weil wir längst hier schon in einer Hölle waren“, geht Jedermann in den Himmel ein, und des Teufels gewitztes Schlußwort wirbt in einem Aufwaschen gleich noch für das Theater als Institution. Die gelungene Aufführung wurde mit anhaltendem Applaus und begeisterten Zurufen gefeiert.
 
Frank Becker, 4.2.04