Autobahnen

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Autobahnen
 
(Zwei Wesensbeschreibungen)
 
Auf der A 44 schafft es sogar ein Igel über die Autobahn zu kommen. Ich stoppe auch für Schmetterlinge. Hier, zwischen Kassel und Dortmund herrscht ein sanfter Umgangston. Das Fahrverhalten ist schüchtern, fast keusch. Es ähnelt einem Probelauf, als hätten alle einen Führerscheinprüfer neben sich. Als führe man zum ersten Mal die Schwiegereltern spazieren und ist noch bemüht, einen guten Einruck zu hinterlassen. Hier fährt man lang, wenn man kein Ziel vor Augen hat und nirgendwo hin muß. Was will man auch in Dortmund oder Kassel? So agiert man gelassen und hockt vor seinem Lenkrad wie in einem Beichtstuhl. „Vater, ich habe gesündigt. Ich habe gerade nicht geblinkt. Ich habe meine Scheibenspritzanlage nur benutzt um meinen Hintermann zu ärgern.“ Hier wird nur gehupt, um die Hupe zu testen, oder sich selbst wach zu halten. Hup Hup Hup Hup. Man hört hier klassische Musik während der Fahrt und hat einen Duftbaum, der nach Goethe riecht. Fahren da Buddhisten in Urlaub oder zu sich selbst? Alle nutzen so rücksichtsvoll die Autobahn, als wäre es 8. März und Weltfrauentag. Hier wird nicht rechts überholt, geschweige denn während der Fahrt gepopelt. Hier setzt man nur das Fernlicht ein, wenn man Sehnsucht hat und sehen will, ob Rehe auf der Fahrbahn grasen. Viele halten einen Sicherheitsabstand nur, um dem anderen nicht zu nahe zu kommen. Verstehen sie, das nennt man Respekt. Manche ekeln sich auch vor dem gehäkelten Klopapierhut auf der Ablage des Vordermannes. Was macht eigentlich ein gehäkelter Klopapierhut im Auto? Wäre es nicht sinnvoller, den Ersatzreifen einzuhäkeln, wenn man schon einhäkeln will? „Also ich häkle immer den Duftbaum ein, dann hält sich der Duft länger.“ Die A 44 atmet tief durch und denkt nach.
 
     Dann wechseln die Autos die Bahn und kommen dort an, wo der Wahnsinn ein Zuhause hat. Auf der A1: „Ein Treiben, ein Düsen - Aufbäumen der Drüsen - ein Rasen der Polen - laßt uns überholen - vorbei und sich quälen - und tschüs Chromjuwelen – bevor wir uns streifen, da dampfen die Reifen - Macht`s gut, Idioten – ihr Totenvorboten.“ Die A1 ist von einem anderen Kaliber. Da spürt man ein anderes Fahrniveau. Hier ist nicht nur der rechte Fuß gefragt, der ungebremst die Gaspedale malträtiert, hier macht der ganze Kopf sich klar, daß er noch vor dem anderen ans Ziel sein will. Wer hier überleben will, braucht wenigstens einen Hauptschulabschluß. Hier trägt man sogar im Auto einen Helm und eine kugelsichere Weste. Hier läuft alles dreispurig. Hier könnte man zwei Rettungsgassen bilden. Rechts stehen die LKW, in der Mitte trödelt der Berufsverkehr, und links rauschen die Wichtigtuer vorüber. Oder war es umgekehrt? „Achtung, Achtung auf der A1 kommt ihnen ein Falschfahrer entgegen.“ „Ein Falschfahrer ist gut. Das sind Tausende.“ „Ein Treiben, ein Düsen - Aufbäumen der Drüsen - ein Rasen der Polen - laßt uns überholen - vorbei und sich quälen - und tschüs Chromjuwelen – bevor wir uns streifen- da dampfen die Reifen - Macht`s gut, Idioten – ihr Totenvorboten.“ Das ist die Theorie.
     In der Praxis gibt es eine neue Generation von Autofahrern, verdammt gut ausgebildet, ja überqualifiziert, die könnten eine Boeing B-52 nicht nur fliegen, sondern auch auf dem Domplatz in Paderborn landen. Die blinken gar nicht mehr, wenn sie die Spur wechseln, denen rutscht einfach das Herz in die Hose. Die fahren freihändig, manche halten dabei sogar die Augen geschlossen und entspannen sich vor dem nächsten Termin, ihrer Führerscheinprüfung. Ich sah schon Leute, die aßen einen Eintopf bei 130, während ihr Auto nach Pichelstein düste. Pichelsteiner Eintopf, so nennt man seitdem die daraus entstehende Massenkarambolage. Andere blasen beim Überholen Trompete und kündigen den Vorgang mit einem Tusch an. Die neuen Raser, die steuern die Ausfahrt Schwelm an, müssen aber erst in Ronsdorf raus. Das ist Autoscooter für Erwachsene. Die würden am liebsten einen AUDI Q3 fahren, können sich aber nur einen FIAT leisten. Das tut weh. Das kriegt der Motor zu spüren. Da gibt es Leute, die fahren wie die Irren über die A 1, um dann eine Stunde im Warteraum eines Arztes warten müssen, der bei ihnen Bluthochdruck feststellt. Ich kenne andere, die rasen wie bescheuert durch die Straßen, um dann auf dem Parkplatz eine Viertel Stunde bis zum Parkscheinautomat rennen zu müssen, damit sie in der VHS ihren Vortrag über die Entschleunigung halten können.
     Ich habe die Nummer meiner Mama an meinem Auto angebracht:. „Sind Sie mit meinem Fahrstil nicht einverstanden? Rufen Sie diese Nummer an.“ Ruft also an, ihr Nörgler und Autobahndespoten. Ruft an, wenn euch mein Fahrstil auf die Eier geht. Ruft an, wenn ich nicht auf euer Lichthupen reagiere und nicht sofort die Spur wechsle und in Tränen ausbreche. Ruft an bei meiner Mama. Meine Mama wird euch schon den Marsch blasen, die wird euch zur Schnecke machen, die zwingt euch, eure Duftbäume zu essen. Nach einer Umfrage des ADAC fühlen sich 68% der Autofahrer auf der Autobahn bedroht und bedrängelt. Wenn wir es schaffen würden die lästigen übrigen 32% von der Autobahn zu verbannen, könnten unsere Autobahnen wieder dein Ort es Vorwärtskommen werden. Ich weiß noch, wie ich mal eine Frau mit dem Auto nach Hause brachte und sie mich kurz vor der Ankunft fragte, ob ich noch auf einen Kaffee mit nach oben wollte und mein Navi dann sagte: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Da wußte ich, daß ich Verkehrsteilnehmer bin und Stillstand man noch haben kann, wenn man tot ist. Einmal war ich mit ihr auf der Autobahn unterwegs. Da flüsterte sie: „Stell mir doch bitte den Sitz vor!“ Da sagte ich: „Liebling, das ist der Sitz.“ und „Sitz, das ist mein Liebling.“ Oh ,wie unschuldig wir alle waren.
 
 
© Erwin Grosche