Ein Western, der uns nachdenklich entläßt

„The Sisters Brothers“ von Jacques Audiard

von Renate Wagner

The Sisters Brothers
(USA 2018)

Regie: Jacques Audiard
Mit: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal, Riz Ahmed, Rutger Hauer u.a.
 
Der Titel beinhaltet schon eine Pointe, wenn sie auch auf Deutsch nicht herüberkommt. Die Brüder heißen „Sisters“, was bekanntlich „Schwestern“ bedeutet. Aber darum geht es nicht. Um Brüder, um Zusammenhalt des „Blut ist dicker als Wasser“, geht es sehr wohl. Und auch um mehr, als Western-Filme im allgemeinen zu bieten haben. Das macht „The Sisters Brothers“ so bemerkenswert und hat ein Genre, das eigentlich vergessen schien, hier sogar festivaltauglich gemacht (in Venedig konkurrierte der Film um den „Goldenen Löwen“) und mit – verdienten! – Auszeichnungen („César“ für beste Regie u.a.) bedacht.
Schon der zugrunde liegende Roman des kanadischen Schriftstellers Patrick deWitt (*1975) wurde vielfach preisgekrönt, weil er ausgetretene Pfade meidet. Wer käme schon darauf, daß die Männer, die da im „Wilden Westen“ unterwegs sind, sich ehrlich den Kopf über ihr Tun und den Sinn dessen (vielleicht sogar über den Sinn des Lebens?) zerbrechen? Eben. Genau das aber tut Eli Sisters, mit dem John C. Reilly eine Meisterleistung auf die Leinwand bringt, für die man ihm gleich den „Oscar“ überreichen möchte (er war allerdings nicht einmal nominiert…). Er kann mit einer Prostituierten zärtlich sein, er leidet ehrlich und zutiefst, als er sein Pferd verliert, er ist dem Fortschritt aufschlossen und kauft sich eine Zahnbürste – keine Frage, hier steht ein besonderer Mann im Zentrum, der sich tief für seinen Bruder (der einst ihren Vater getötet hat) verantwortlich fühlt.
Das besondere Flair des Films geht auf das Konto des französischen Regisseurs Jacques Audiard, der hier keinem ur-amerikanischen Western-Klischee auf den Leim geht, sondern konsequent einen „anderen“ Film macht, der bloß in der Western-Welt angesiedelt (und natürlich auch von deren Gesetzen geprägt) ist.
 
Die Geschichte spielt in Oregon im Jahre 1851. Da sind die Sisters-Brüder, der bedächtige Eli, der immer ein Auge auf seinen brutalen, trunksüchtigen Bruder Charlie hat (Joaquin Phoenix ist wie geschaffen für Charaktere, die ausrasten). Außerdem sind die beiden durch ihren für Eli unerquicklichen Beruf an einander gekettet: Für den sogenannten Commodore (Rutger Hauer) agieren sie als Auftragskiller. Und dieser fühlt sich in seinen Goldgräbergeschäften von einem Inder namens Hermann Kermit Warm gestört. Er ist der nächste Auftrag der Brüder…
Der Film schwenkt zu Warm (so intelligent und klug gespielt von Riz Ahmed, daß er stellenweise zum Zentrum des Films mutiert), der in John Morris (Jake Gyllenhaal) einen eher undurchsichtigen Begleiter hat: Will er ihn schützen, will er ihn ausliefern? Jedenfalls ist man hier im ideologischen Zentrum des Films, wenn der Inder von einer „idealen Gesellschaft“ träumt, die er in Texas gründen will. Berührend, wie er das Leben in der Wildnis liebt und es nie eintauschen wollte für all den Luxus der Städte, Trotzdem kann die Frage, warum man hier ist, von allen nur eine Antwort finden: Wegen des Goldes. Aber für Warm würde es nur dazu dienen, Menschen ein gutes Leben zu verschaffen. Und auch John Morris erwärmt sich für die Idee.
 
Die potentiellen Mörder treffen mit ihrem Opfer zusammen, man redet und redet und redet, man kann sich eigentlich Gewalttaten unter ihnen nicht vorstellen. Dieses Männer-Quartett kann miteinander kommunizieren, sich verstehen, wenn auch ein charakterlich nicht so hoch qualifizierter Mann wie Charlie sich angesichts der „idealen Gesellschaft“ nur vorstellen kann, daß dort Menschen umso effektiver ausgebeutet werden können.
Die neue Methode des Inders, schnell im Wasser Gold zu finden, führt zur Katastrophe, als er eine von ihm entwickelte chemische Substanz in den Strom einführt – da funkeln zwar die Goldstücke, es kostet aber einige Protagonisten das Leben… und da gibt es Szenen von beklemmender Tragik, wenn ein Schwerverletzter eine Pistole gereicht bekommt, damit er selbst ein Ende machen kann.
Am Ende gibt es die gewaltigen Schieß-Showdowns dieser Art von Filmen, denn längst schon stehen auch die Sisters Brother auf der Abschußliste. Und so sanft Eli in seinem Herzen ist, im Zweifelsfall greift er doch als Erster zur Waffe – auch wenn es um Rache geht. Dennoch wird die Geschichte nicht mit einem sauberen Ende gekrönt. Viele Fragen bleiben offen, und lange ist man nach einem „Western“ nicht so nachdenklich aus dem Kino gegangen…
 
Trailer   
 
Renate Wagner