Beckfelds Briefe

An Freddie Frinton

von Hermann Beckfeld

Fernseh-Legenden: Dinner for one © Deutsche Post
Er stolperte nicht nur im Fernsehstudio über den Tigerkopf. Auch das wahre Leben ließ Freddie Frinton häufig straucheln. Scheidung, Alkohol, Kündigungen – der Butler James bediente alle Schicksalsschläge und wird doch mit seiner Paraderolle unsterblich, zumindest am Silvestertag, wenn er den 90. Geburtstag seiner Chefin feiert.
 
Lieber Freddie Frinton,
Sie sind viel zu früh gestorben, schon im Alter von 59 Jahren im Oktober 1968, aber Sie können sicher sein: Sie leben weiter, besonders am Silvestertag, wenn Sie als Butler James elfmal in 18 Minuten über den Kopf eines ausgelegten Tigerfells stolpern und irgendwann das Wasser aus der Blumenvase trinken. „Dinner for One“, dieser Kult-Sketch, gehört für uns zum Jahreswechsel wie Champagner und Feuerwerk.
Und Sie können stolz auf sich sein. Als Butler James, als Sir Toby, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom lassen Sie uns lachen, bis die Tränen kommen; jede Wiederholung aufs Neue und immer und immer wieder. Wir können gar nicht genug kriegen von Ihrem gequält-komischen Blick, den gelallten Fragen: „The same procedure as last year, Miss Sophie?“ Ja, sagt Miss Sophie, ja, sagen wir und wollen die gleiche Prozedur wie letztes Jahr – und Sie, lieber Butler James, geben zum unzähligsten Mal Ihr Bestes.
     Welcher Komiker kann das schon von sich sagen? In 21 Ländern, zum Teil in anderen Versionen, feiern die TV-Zuschauer den 90. Geburtstag von Miss Sophie mit Gästen, die sie überlebt hat; eine eigene Fassung hatte auch die DDR, die es aber nicht mehr gibt. Die Mauer ist längst gefallen.
Ihre persönliche Geschichte dagegen stimmt mich traurig. Ihr Vater machte sich nach der Geburt von Frederic Bittiner Coo, so Ihr richtiger Name, aus dem Staub. Ihre Mutter, die Näherin Florence Elisabeth, wollte und konnte sich nicht um Sie kümmern. Sie wuchsen bei Pflegeeltern auf, arbeiteten schon mit 14 Jahren als Packer in einer Fischfabrik – und flogen nach zwei Jahren raus. Mit Ihren Witzen und Parodien hatten Sie die Kollegen zu sehr von der Arbeit abgelenkt.
Ehe, Scheidung, neue Ehe, sechs Kinder, die sie durchbringen mußten: Deshalb tingelten Sie unermüdlich als Vorstadtkomiker durch die Provinz; Sie begannen einsame Hotelzimmer zu hassen, waren aber nach Auftritten lieber dort, als sich mit den Kollegen an der Theke zu betrinken; Alkohol tranken Sie eh nur auf der Bühne, zum Geburtstag der alten Dame. Sensibel, stur, wohl auch skurril, wurden Sie zum Eigenbrötler, waren nicht gern unter Leuten. Ihr einziger ständiger Begleiter: das Tigerfell mit Kopf, das Sie in einem Kolonialwarenladen gekauft hatten. Wenn im Auto kein Platz war, haben Sie das Fell aufs Dach gebunden.
     Im Zweiten Weltkrieg wurden Sie eingezogen, mußten aber nicht an die Front. Als Alleinunterhalter sollten Sie die englischen Soldaten aufheitern. Seit dieser Zeit hatten Sie keine hohe Meinung vom Kriegsgegner Deutschland und mußten überredet werden, 1961 in der Livesendung der ARD „Lassen Sie sich unterhalten“ den Sketch erstmals im deutschen Fernsehen aufzuführen.
Seit 1972 wird „Dinner for One“ zu jedem Jahreswechsel gezeigt. Sie würden sich wundern. Längst gibt es hierzulande regionale Versionen, so unter anderem in Plattdeutsch. Mein Kollege Sascha Klaverkamp, unser Sportchef und genialer Hobbyschauspieler aus dem Münsterland, zeigt sich trinkfest als Knecht Bennad, der sich für Buer Brömmelkamp, Brandmester von Mönster, Pastor Bümmelmann und Mien Frönd Tönne besäuft. Er serviert Tante Änne Töttchen, Wurstebrot, Schweinebraten und Stippmilch.
Meine Frau und ich, wir freuen uns heute im Theater Mondpalast auf die Ruhrgebietsfassung. In „Dinner for Wanne“ sitzt Prinzipal Christian Stratmann als Omma Soffie mit Obersteiger Klimaschewski, Tambourmajor Schwerdtfeger, Küster Behrenda vonne Maria-Hilf-Kirche und Hans-Werner Höttges vom Taubenverein Wanne-Eickel am Tisch. Thomas Rech, der den Sketch umgeschrieben hat, torkelt als Butler Jaköbchen mit Essen auf Rädern in der Styroporbox über die Bühne; wie immer wird es Brathering, Karnickel und Schokoladenpudding geben, und das ganze Theater wird beben.
 
Lieber Freddie Frinton,
der unsterbliche Vater des Klassikers sind Sie. Kein Zweiter stolpert so gekonnt über den Tigerkopf, schreitet grazil und springt ausgelassen über ihn hinweg. Und wir wissen, was kommt, wir kennen den Text auswendig und lachen trotzdem. Mehr geht nicht. Danke.

 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform
Redaktion: Frank Becker