Die Stille

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Die Stille
 
Erst wollen die Eltern, daß man still ist, und wenn man still ist, kommen sie mit dem Fieberthermometer. Laut ist immer nur der Hund des anderen. Ich hatte einen Freund, der konnte so laut „Pssst“ machen, daß wir alle davon wach wurden. Wenn ich mal wirklich Stille suche, dann gehe ich auf den Friedhof, da ist es wirklich still. Da sind mal keine Motorradfahrer, wenigstens nicht die Lebenden, dann sind da nur die golfspielenden Senioren, wegen der großen Löcher. Wenn ich mal wirklich Stille suche, gehe ich auf den Friedhof. Oder besser noch, ich lasse mich dorthin tragen. Ich bin am liebsten still, wenn mich keiner dabei hören kann. Einmal war ich so still, da bin ich gleich eingeschlafen und träumte von einer Schreitherapie. Wenn ich mal wirklich Stille suche, gehe ich ins Kino, in einen deutsche Komödie. Das ist für mich die Stille. Das Schulgebäude in den großen Sommerferien. Das ist für mich die Stille, wenn meine Frau nicht mehr mit mir spricht, weil ich ihr nie von mir erzähle und sie mir meine Sitzheizung auf 5 stellt, damit sie mir in meinen vorgewärmten Hintern treten kann. Das ist für mich die Stille, wenn bei Filmaufnahmen die Toncrew die Atmo für die Parkszene aufnehmen will und alle dreißig Leute des Teams still sind, um die Aufnahme nicht zu stören. Da singen Vögel, Kinder auf der Wiese spielen mit dem Ball. Im Hintergrund hört man das Rauschen des Neptunbrunnens. Das ist für mich die Stille, wenn vorher alles schweigt, weil die Bombe noch nicht entschärft ist und nachher, wenn das nicht geklappt hat. „Als es Gott auf der Erde zu still war, erschuf er die Frau.“ Auch das Schweigen nach diesem Knallerwitz hat eine interessante Färbung. „Bei Unruhen ab 80 Dezibel sollte man einen Gehörschutz tragen!“ Der Berliner Apotheker Maximilian Ohropax entwickelte im Jahre 1907 den Ohrenstöpsel. Im Gegensatz zum Auge fehlt dem Ohr das Lid. Das Ohr hört immer zu, auch wenn nichts gesagt wird: „Der Garten der Stille ist heute ab 14:00 Uhr geschlossen! Hallo! Der Garten der Stille ist heute ab 14:00 Uhr geschlossen!“ Nach dem letzten Atemzug bleiben wir hörend mit der Welt verbunden. Zeit für eine Aussprache: „Wenn du nicht mehr da bist, werde ich den Kindern erlauben zu pfeifen, und ich werde summen bei der Hausarbeit.“ „Enttäusch` nicht das Geräusch.“ Der Eventcharakter der Stille tendiert gegen null. Man kann mit der Stille keinen hinter dem Ofen hervor locken. Selbst Kur- und Bäderstädte locken nicht mit Ruhe und Stille. Stille haben wir zu Hause. Auf manchen lastet die Stille wie ein Schicksalsschlag. Ich könnte mich manchmal in der Stille herumwälzen wie ein Hund im Aas. Suhlen wie ein Schwein im Schlamm. Wenn ich mal wirklich Stille suche, dann schiebe ich eine Heavy Metall CD in meinen CD-Player und drehe den Lautstärkeregler auf Null. Was man dann hört, das ist die Stille: „Manchmal stört ein Furz die Stille/ danach kommt ein Kille Kille/ und man merkt die große Stille/ war vielleicht nicht Gottes Wille.“//
 
 
© Erwin Grosche