Beckfelds Briefe

An Inspector Barnaby

von Hermann Beckfeld

© Edel Motion
Zweimal Barnaby an einem Montag, wer soll das verkraften? Wie erträgt das der Zuschauer, wie erträgt das dieses gottverlassene Nest in der englischen Provinz, in der es nach den unzähligen Morden keinen freien Platz mehr auf dem Friedhof geben kann?
 
Sehr geehrter Inspector Barnaby,
anfangs konnte ich nicht verstehen, warum meine Frau Ihre TV-Serie so sehr liebt, keine Minute verpassen möchte und sich sogar Doppelfolgen antut; warum Sie als Chief Inspector in so vielen Ländern auf Verbrecherjagd gehen dürfen, Ihnen die Fans auch nach 100 Folgen treu bleiben und selbst unsere Kanzlerin von Ihren Krimis schwärmt.
     Also habe ich versucht, Ihnen bei Ihren Ermittlungsarbeiten in Causton und anderen gottverlassenen Nestern, deren Namen ich noch nie gehört hatte, auf der Spur zu bleiben. Doch bevor Sie und Ihr erster Assistent den Täter zur Strecke brachten, hatte der schon weiter gemordet und ich war längst eingeschlafen. Lange begriff ich nicht, wie man vor allen Dingen als Frau so von einer Serie begeistert sein kann, in welcher der Hauptkommissar und dazu Namensgeber der Serie alles andere als attraktiv ist. Sie sehen weder gut aus, noch sind Sie sportlich. Wenn Sie einem Verdächtigen hinterherlaufen, geht Ihnen schon nach wenigen Sekunden die Puste aus. Dazu schauen Sie viel zu häufig griesgrämig, knurrig mißtrauisch aus, so wie auf dem Foto John Nettles, der Sie bis zur 13. Staffel spielte. Sein Nachfolger, Neil Dudgeon, kommt auch eher grantig rüber. Und dann diese Fantasie-Grafschaft Midsommer irgendwo in der realen britischen Provinz, in der sowieso schon der Hund begraben ist und mit ihm mehr als 300 TV-Opfer, weil jede Woche aufs Neue gemordet wird. Eigentlich müßte das Dorf schon längst ausgestorben sein. Wer will hier überhaupt noch leben, wen lockt die Überdosis Einsamkeit vor den Bildschirm?
     Jetzt kommt die Wende, so wie bei Ihren Verbrecherjagden, wenn Sie die ersten 60 Minuten im Dunkeln tappen, um dann doch den Mord aufzuklären. Ich habe meine Frau und ihre Freundinnen intensiv befragt, habe mir zwei Folgen komplett angeschaut und ahne nun zumindest, warum Inspector Barnaby höchstwahrscheinlich noch bis zur Pensionierung ermitteln darf. Ich glaube, es ist dieser British Way of Life, also diese typische Lebensweise der Engländer insbesondere auf dem Lande, die sich in der Krimiserie widerspiegelt und für 90 Minuten Ruhe und Abwechslung in unser hektisches Alltagsleben bringt: In Inspector-Barnaby-Filmen sind die Leute unaufgeregt bis hin zur gelangweilten Gelassenheit, reserviert, mürrisch, spröde, skurril sowieso. Dazu die Drehorte, „britisher“ geht’s nicht: gemütliche Pubs, dunkle Gotteshäuser, verstaubte Seniorenheime, plüschige Hotels, ärmliche Behausungen … Folge für Folge ist zu spüren, was die Krimis so beruhigend menschlich macht: Nicht nur wir haben unsere Laster, auch die Mörder und Opfer offenbaren ihre ganz alltäglichen Schwächen: Neid, Eifersucht, Gier nach Geld und Macht, Rachegelüste, die Bereitschaft zum Fremdgehen, Alkoholsucht ...
     Und so treffen Sie und wir Woche für Woche spannende Typen: schrullige Witwen, unbefriedigte Frauen, genervte Ehemänner, obskure Priester, verschrobene Einzelgänger; übrigens vorwiegend im Senioren- und Greisenalter, was ebenfalls bemerkenswert ist. Ich kenne keine andere TV-Serie, in der so viele alte Schauspieler Charakterrollen bekommen. Irgendwie macht es uns Zuschauern Hoffnung, daß wir im hohen Alter noch mal groß rauskommen. Um ehrlich zu sein: Natürlich tragen Sie Ihren Teil zum Erfolg bei. Sie sind so sympathisch stinknormal und damit einer von uns, vergessen auf der Suche nach der Gerechtigkeit Ihren Hochzeitstag oder den Geburtstag von Tochter Cully. Aber so richtig böse sein kann man Ihnen nicht, da halten Sie mit Ihrem feinen Humor gegen.
 
Lieber Inspector Barnaby,
ob Sie es glauben oder nicht: Auch für mich ist jetzt der Montag Barnaby-Tag. Wobei ich bis zum Ende der zweiten Folge selten durchhalte. Wenn der Blick der Kamera so unendlich lange über die Landschaft schleicht, wenn Sie zum x-ten Male einen tütteligen Zeugen befragen, geschieht es schon mal, dass ich einschlafe. Was aber auch nicht schlecht ist. (22.07.2017)  
 

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform
Für das Foto danken wir dem Hessischen Rundfunk.
 
Redaktion: Frank Becker