Beckfelds Briefe

An Hans-Joachim Kulenkampff

von Hermann Beckfeld

Foto © hr Kurt Bethke
Hans-Joachim Kulenkampff war der Meister des Wortes, der Charmeur unter den Entertainern, der Mann für intelligente Unterhaltung. Bei seiner Samstagsabend-Show „Einer wird gewinnen“ flirtete er mit den Assistentinnen und Kandidatinnen, überzog maßlos die Sendezeit – und keiner nahm es ihm übel, weil ihn alle liebten.
 
Sehr geehrter Hans-Joachim Kulenkampff,
was waren das für schöne, kuschelige, unbeschwerte Zeiten; damals in den 60er Jahren, als unsere Fernsehabende am Samstag so viel Wärme ausstrahlten wie früher das Lagerfeuer, um das sich die ganze Familie scharte. Wir Kinder, frisch gebadet und in Schlafanzügen, fläzten uns auf den Teppich, die Eltern saßen auf dem Sofa und im Sessel. Eine Vertrautheit auf Abstand, mehr war nicht drin im prüden Nachkriegsdeutschland.
     Um Punkt 20.15 Uhr, nach Tagesschau und Wetterkarte, war es endlich so weit. Da ertönte die Eurovisionsfanfare, uns diente sie als Titelmelodie von „Einer wird gewinnen“, und Sie kamen aufrecht, ein stattlicher Mann, in maßgeschneidertem Anzug und mit Krawatte, festen Schrittes hinter den Kulissen hervor. Mitten auf der Bühne blieben Sie stehen und breiteten raumgreifend die Arme aus; fast so, als wollten Sie jeden einzelnen, die Gäste auf den Tribünen und die Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen, umarmen, für sich einnehmen. Sie waren unser aller Kuli, der große Charmeur mit dem unwiderstehlichen Lächeln, der Showmaster der Nation, der die albernen Spielchen in Kauf nahm, weil sie ihm die Bühne gaben, so herrlich ungezwungen zu plaudern; scheinbar aus dem Stegreif, ganz ohne Manuskript. Es waren Texte, die Sie nie mit dem Programmdirektor oder den Redakteuren abgesprochen haben. Sie philosophierten über eigene Schwächen und unfähige Politiker, über Ihre Erlebnisse zwischen den 82 Sendungen, über Gott und die Welt, die für Sie schon damals gehörig aus den Fugen geraten war; pointiert, kantig und geradeaus sowieso, häufig mit einem Hauch von Egozentrik und Eitelkeit, aber immer mit bewundernswerter Gelassenheit, durchaus kritisch mit sich selbst und der Branche: „Die Leute sind gar nicht so dumm, wie wir sie durchs Fernsehen noch machen werden.“
     Manchmal dauerte es 20 Minuten, bis auch die acht Kandidaten aus acht Ländern ins Rampenlicht durften und ihre Allgemeinbildung bewiesen. Aber wer wollte, wer konnte Sie, den Meister des Überziehens, schon ausbremsen, der 1964 erstmals „EWG“ moderierte, zweimal seinen Abschied verkündete und dann doch bis 1987 weitermachte, um das kleine Samstagabend-Glück zu bewahren.
     Kuli, der gelernte Schauspieler, der kokette Kavalier, der fast alles durfte, dem keiner böse sein konnte, Frauen schon gar nicht, Gleichstellungsbeauftragte gab es noch nicht. Zu Beginn jeder Show flirteten Sie mit Ihrer hübschen Assistentin Uschi, später war es Gabi, schwärmten von deren stets ausgefallenen Kostümen und schauten ungeniert den schönen Beinen der Mitarbeiterin und der Kandidatinnen hinterher. „Lächelt mich so eine kleine Italienerin an, habe ich Text für drei Stunden.“
     Höhepunkte waren die Filmchen, natürlich mit Ihnen in der Hauptrolle. Als Tarzan, der sich mit einem Urschrei ungelenk in die Tiefe stürzt, als August der Starke, ein peinlicher Held; als Casanova, der die Augen verdreht, wenn seine Geliebten die Hüllen fallen lassen.
Zum Finale, da mußte ein Knaller her, ein Rausschmeißer, ein letzter Gag und der Beweis, daß unser Star sich selbst auf den Arm nehmen konnte. Dafür brauchten Sie Martin Jente, Ihren Butler, der Ihnen Mantel und Schal bringen und die Meinung sagen durfte.
     Sie starben 1998. Das Leben hat es nicht immer gut mit Ihnen gemeint. Im Rußlandfeldzug haben sie sich selbst abgefrorene Zehen amputiert, um zu überleben. Ihr Sohn Till war vier Jahre alt, als er bei einem Autounfall ums Leben kam. Ungern sprachen Sie von diesen Schicksalsschlägen. Lieber erzählten Sie von Ihrer großen Liebe, von Ihrer Traudl. Acht Tage nach dem Kennenlernen haben Sie geheiratet; Sie konnten dem Standesbeamten nicht die Anschrift Ihrer Braut sagen. „In der kurzen Zeit gab es schließlich wichtigere Dinge, als die Anschrift in Erfahrung zu bringen.“
 
Lieber Hans-Joachim Kulenkampff,
Sie werden sich fragen, warum ich Ihnen heute schreibe. Vielleicht liegt es daran, daß ich am letzten Samstagabend durch die Programme zappte, aber nirgendwo hängenblieb. Und irgendwie wehmütig an früher dachte, an Fernsehen als Gemeinschaftserlebnis, an „Einer wird gewinnen“ mit gerade mal 8000 Mark, die der Sieger erhielt. Und ich dachte an Sie, unseren Kuli, den besten Showmeister, den wir je hatten. (11.02.2017)   


Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform
Für das Foto danken wir dem Hessischen Rundfunk.
 
Redaktion: Frank Becker