Das Atom

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Das Atom

Von Ernst Peter Fischer
 
Das Atom gehört zu den ältesten Ideen, mit denen Menschen versuchen, die Welt um sich herum zu beschreiben. Das Atom, der Gedanke, das Wort, ist vor etwa zweieinhalbtausend Jahren im antiken Griechenland in die Welt gekommen. Der Philosoph Demokrit oder Demokritos hat damals versucht zu verstehen, was passiert, wenn er ein Ding nimmt und das immer teilt und teilt und teilt. Sie können sich gerne eine Zeitungsseite nehmen, die Sie teilen, wieder teilen, dann ein Achtel, ein Sechzehntel, ein Zweiunddreißigstel schnippeln. Und immer weiter teilen Sie, bis Sie zum Schluß etwas bekommen, was offenbar nicht mehr geteilt werden kann.
     Gemeint ist nicht, daß Sie das mechanisch nicht mehr teilen können, sondern es muß ja doch irgendwann einmal etwas sein, was übrig bleibt, was der Urbestand dessen ist, aus dem die Zeitung und aus dem die anderen Dinge bestehen. Das nannte man das „Unteilbare“, auf Griechisch „átomos“- oder eben das Atom.
     Das Atom ist das älteste Wort, das wir kennen, um die Welt zu beschreiben, und es ist auch eines der am besten verbreiteten Wörter. Die meisten von uns kennen und benutzen das Wort. Sie verstehen auch, wenn die Soziologen von der „Atomisierung der Gesellschaft“ sprechen. Sie alle sorgen sich wegen der Atomkraft. Das Wort „Atom“ ist Ihnen eingängig. Sie haben keine Probleme, wenn Sie es benutzen sollen. Sie wissen auch, daß die Welt aus Atomen aufgebaut ist. Das hat man Ihnen so gesagt. Sie denken, Sie wüßten auch, was das ist, ein Atom. Ein Atom ist das Ding, aus dem die Dinge aufgebaut sind.
Das Problem ist nur, ob das so sein kann. Es ist ein logisches Problem.
     Zunächst einmal: Wenn das Atom das Ding ist, das die Dinge aufbaut, dann kann das Atom ja kein Ding sein, denn Sie wollen die Dinge ja erst aufbauen. Es macht keinen Sinn, die Welt dadurch zu erklären, daß Sie das, was Sie erklären wollen, voraussetzen. Wenn Sie zum Beispiel die Entstehung von Rationalität im Denken erklären wollen, können Sie die auch nicht voraussetzen. Sie müssen dann zuerst eine Irrationalität haben und daraus irgendwie durch Kombinationen oder durch Wachsen von Irrationalitäten das rationale Denken erklären.
Es macht keinen Sinn, Rationalität dadurch zu erklären, daß ich sie voraussetze, und es macht keinen Sinn, die Dinghaftigkeit der Welt, die Objekte, die wir in der Welt finden, dadurch zu erklären, daß ich sie voraussetze.
 
 
Die Logik des Bohrschen Atommodells
 
Das Atom kann also kein Ding sein. Aber was ist es dann? Das ist das schwierige Problem, das die Physiker vor etwa hundert Jahren zum ersten Mal voll in Angriff genommen haben. Sie wissen bis heute eigentlich nicht, was ein Atom ist, obwohl sie eine Menge schöner Modelle dafür gemacht haben.
     Ich nehme an, daß Sie alle ein Atommodell kennen - das ist das Atommodell, das ein Ding oder ein Gebilde zeigt, das auf keinen Fall mehr unteilbar ist. Im Gegenteil: Das Atom besteht aus zwei Teilen, nämlich aus einer Hülle, in der negativ geladene Teilchen namens Elektronen unterwegs sind, und aus einem Kern, in dem positiv geladene Teilchen wie Protonen und neutrale Teilchen wie Neutronen zusammengehalten werden.
     Dann hat man diese schöne klassische Vorstellung, die etwa aus dem Jahre 1912 stammt, daß es einen Atomkern gibt, um den sich die Elektronen auf sogenannten „Umlaufbahnen“ herumbewegen. Das ist das „Bohrsche Atommodell“, von Niels Bohr, dem dänischen Physiker, vorgeschlagen. Es konnte eine wunderbare Erklärung von bestimmten Fähigkeiten und Eigenschaften der Materie geben, sodaß man damit sehr zufrieden war. Nur: Von Anfang an war auch da wieder ein kleines logisches Problem, denn letzten Endes wollen wir ja die ganze Welt verstehen, in der wir leben. Dazu gehört auch das Planetensystem. Wenn wir im Atom schon ein Planetensystem haben - denn wenn wir einen Kern haben, um den Elektronen kreisen, haben wir ein Planetensystem im Kleinen -, dann ist das auch wieder so, daß wir voraussetzen, was wir eigentlich erklären wollen. Wir wollen ein Planetensystem - das Sonnensystem - erklären und setzen es im Atom voraus.
     Das ist also auch nicht richtig. Die Atome müssen anders sein als die Dinge, die wir kennen. Sie dürfen keine Ausdehnung haben in dem Sinne, wie ein Tisch eine Ausdehnung hat. Sie dürfen auch keine Farben haben, ebenso wenig wie Umlaufbahnen wie Planeten um die Sonne. Die Atome müssen irgendetwas ganz anderes sein, etwas ganz Merkwürdiges. Die große Frage ist: Was sind sie eigentlich?
     Die andere Frage, die sich bei Atomen von Anfang an gestellt hat, ist: Angenommen, ich habe hier ein Atom, was habe ich dann daneben? Was ist denn neben dem Atom? Die Griechen hatten dafür eine einfache Lösung. Sie haben gesagt: Neben den Atomen gibt es den leeren Raum. Die ganze Welt besteht aus Atomen und dem leeren Raum.
     Allerdings waren nicht alle Griechen der Meinung, daß das richtig sei. Der große Philosoph Aristoteles war der Meinung, daß das überhaupt nicht sein kann. Er wußte auch nicht, was ein leerer Raum sein soll. Wir können uns heute vorstellen, daß ein Zimmer leer ist, wenn die Menschen hinausgegangen sind. Aber dann ist natürlich immer noch die Luft drin, Stühle stehen herum. Was wirklich Leere sein soll, was „nichts“ sein soll, konnte er sich nicht vorstellen. Weil er sich das „Nichts“ nicht vorstellen konnte, wollte Aristoteles auch nicht, daß es Atome gibt.
     Also sagte Aristoteles: Es gibt weder Atome noch den leeren Raum Ja, was gibt es dann? Heute sind wir uns sicher, daß es in irgendeiner Form Atome gibt. Der Nachweis dafür stammt aus dem 20. Jahrhundert. Er geht auf Albert Einstein zurück. Der Nachweis konnte dadurch geführt werden, daß man Atome zählen kann. Nun will ich das Verfahren nicht vorführen, aber klar ist, daß man Atome zählte. Und wenn man Atome zählt, kommt heraus, daß sie ungeheuer klein sind, oder man kann auch sagen, daß es ungeheuer viele von ihnen gibt.
 
 
© Ernst Peter Fischer
 
Möchten Sie lesen, wie Ernst Peter Fischer die „Atom-Frage“ weiter behandelt? Dann treffen wir uns hier am kommenden Sonntag wieder. Wir freuen uns darauf.