Narben der Erinnerung

„Beast on the Moon” von Richard Kalinoski

von Frank Becker

Tina Eberhardt und Tim Grobe - Foto © Jürgen Diemer

Narben der Erinnerung
 
„Beast on the Moon” von Richard Kalinoski
in Wuppertal in deutschsprachiger Erstaufführung
 
Regie: Markus Dietz – Ausstattung: Mayke Hegger - Foto: Jürgen Diemer
Besetzung: Tim Grobe (Aram Tomasian) – Tina Eberhardt (Seta Tomasian) – Bernd Kuschmann (Der Herr) – Thomas Höhne (Vincent)
 
Einen unerhörten, aus politischen Gründen bis heute nahezu totgeschwiegenen Völkermord verübten 1915 moslemische Türken an ihren mit Mißgunst betrachteten christlichen Nachbarn, den Armeniern. Bis zu 1 Million Armenier wurden aufs Grausamste umgebracht, Frauen vergewaltigt, Kinder geschlachtet. Wer am Leben blieb, war gedemütigt, gebrochen, vertrieben und gezeichnet, voll der entsetzlichsten Bilder von Massakern, Enthauptungen, Kreuzigungen. Armin T. Wegner und Franz Werfel klagten diesen Völkermord öffentlich und literarisch an. Werfels Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“ ist heute so gültig wie damals.
 
Richard Kalinoski nimmt das im Grunde unlösbare Problem, die Verarbeitung der Erinnerung der Überlebenden, zum Ende des Jahrhunderts auf. Ein Jahrhundert, das sich als fortschrittlich sieht, aber mit Armenien beginnend im Deutschland des 3. Reichs einen grausamen Höhepunkt erreichend und mit Jugoslawien, Ruanda und Ost-Timor endend, von einer blutigen Spur des Grauens durchzogen, vom Leid verfolgter Völker gezeichnet ist. Markus Dietz bringt das Stück in Wuppertal in deutschsprachiger Erstaufführung auf die Bühne.
 
Milwaukee 1921: Der Exil-Armenier Aram Tomasian (Tim Grobe) hat Fuß gefaßt, lebt in biblischer Kargheit und Strenge in den USA. Die Erinnerung an seine er mordete Familie präsentiert sich als Gruppenbild, aus dem er die Köpfe herausgeschnitten hat. Er will die Toten ersetzen, sieht es als seine Aufgabe, eine eigene Familie mit dem Mädchen Seta zu gründen, die er per Foto als Braut freigekauft hat und die ebenfalls Waise des Genozids ist.
Aram ist dem 15-jährigen Mädchen (Tina Eberhardt), das seine Puppe mit in die Ehe gebracht hat, nicht gewachsen. Sein Lebenstraum zerbricht, als er erkennen muß, daß Seta unfruchtbar ist und , die sich dem Streuner Vincent (Thomas Höhne) zugewandt hat. Es kommt zum heftigen Zerwürfnis mit der schnell zur selbstbewußten Frau heranwachsenden Seta.
 
Bühne und Ausstattung (Mayke Hegger) sind weiß, Farbe der Unschuld, aber auch des Todes. Der bespielte Raum teilt unüberbrückbar den Saal in Hälften.Szenen von beredter Schweigsamkeit wechseln mit verzweifelten Ausbrüchen und Wortduellen der durch das Schicksal aneinander geschweißten Verlorenen. Tina Eberhardt und Tim Grobe zeigen ein differenziertes Spiel voller Leid und Hoffnung.
 
Frank Becker, 11.9.1999