Eine brillante Analyse von Mensch und Werk

Andreas Guski – „Dostojweskij“

von Renate Wagner

Ein ewiger Kampf
um Anerkennung und Geld
 
Das Leben des Fjodor Michailowitsch Dostojewskij
 
Fjodor Michailowitsch Dostojewskij ist ein Berg in der geistigen Landschaft Rußlands, Mit vieren seiner „großen“ Romane hat er sich in die Weltliteratur geschrieben – „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“, „Die Dämonen“ und „Die Brüder Karamasow“ haben seit ihrem Erscheinen (geduldige) Leser fasziniert und nie aufgehört, Interpreten zu beschäftigen. Daß diese angesichts dieser moralphilosophisch vollgepackten Werke oft zu gänzlich unterschiedlichen Schlüssen und Ergebnissen kommen, liegt an der funkelnden Persönlichkeit ihres Schöpfers, dem Andreas Guski, Professor für Slawische Philologie an der Universität Basel, eine umfangreiche Biographie gewidmet hat. Obwohl es erst in zwei Jahren den „runden“ 200, Geburtstag (Dostojewskij lebte von 1821 bis 1881) geben wird.
     Man hat (vielleicht) die Werke gelesen, von den Dichterschicksalen weiß man im allgemeinen wenig. Wer sich nicht mit einer Kurzbiographie im Internet begnügen will, wird hier mit einer großartig ausführlichen Schilderung des Lebenswegs bedient, wobei der Autor Fakten nicht einfach hinstellt („Dostojewskijs Vater wurde von seinen Leibeigenen ermordet“ – mehr Information gibt es im allgemeinen nicht), sondern Ereignisse von allen Seiten beleuchtet, viele Überlieferungen heranzieht und endlich auch die Schlüsse zieht, was Fakten im Leben eines Menschen bedeuten – und welche Folgen sie im Werk eines Künstlers zeitigen.
     Im Falle von Dostojewskij, dem Arztsohn aus Moskau, mit sechs Geschwistern aufgewachsen, ist der gewaltsame Tod des Vaters sicher ein Einschnitt in der Biographie. Nicht zu vergleichen aber angeblich mit dem gewissermaßen „Nahtod“-Erlebnis, das auch immer als zentraler „Interpretations“-Punkt für Dostojewskijs Werk herangezogen wurde. Als „Politischer“ verhaftet, zum Tode verurteilt, stand der 28jährige vor einem Hinrichtungskommando – und man ließ die Delinquenten qualvoll auf den Schießbefehl warten, bevor man ihnen die Begnadigung (sprich: vier Jahre Zwangsarbeit und Militärdienst danach) verkündete.
     Für Andreas Guski ist die Erklärung, Dostojewskij sei damals dank des wiedergeschenkten Lebens „fromm“ geworden und der philosophisch-moralische Aspekt seiner Werke erkläre sich aus dieser Vertiefung seiner Persönlichkeit, zu einfach, zumal er auch andere Fälle schildert, wo Kollegen diesen Psychoterror nicht überstanden haben und im Wahnsinn gelandet sind. (Bei Dostojewskij sind nicht nur Vater-Sohn-Konflikte, sondern auch Hinrichtungsszenen in seinem Werk häufig.)
     Dostojewskij ging in die Zwangsarbeit, deren schlimmstes Element neben körperlichen Qualen darin bestand, daß er nicht schreiben durfte. Später hat er seine „Aufzeichnungen aus dem Totenhaus“ vorgelegt, Erlebtes, das auch den Lesern unter die Haut ging.
Das berufliche und private Leben dieses Fjodor Michailowitsch Dostojewskij war ein wildes Auf und Ab. „Beruflich“ kämpfte er um Anerkennung in einer literarischen Welt, in der die Kollegen Turgenjew und Tolstoj mit Werken, für die die Leser „einfacher“ waren, weit eher reüssierten als er. Dafür, daß Dostojewskijs Werke so lang („zu lang“) sind, findet der Autor übrigens eine völlig einsichtige Erklärung: Schließlich wurde er von den Verlegern (meist von Zeitschriften, für die er schrieb) nach den „Bögen“ bezahlt, die er ablieferte. Je länger, desto mehr Geld.
 
     Es ist eine Tragödie in der Existenz dieses Fjodor Michailowitsch Dostojewskij, daß er – mit Ausnahme erst seiner letzten Lebensjahre – immer bitter um Geld kämpfen mußte. Tatsächlich ist man fast erschüttert angesichts dieser nicht enden wollenden, demütigenden Folge von Betteln, Borgen, Schulden, die sein Leben begleitetet, was gewiß auch mit einer Unfähigkeit, nach seinen Möglichkeiten zu leben, zusammen hing. Und auch mit einer seltsamen Haltlosigkeit seines Charakters, die sich sowohl auf seine Spielsucht (nicht umsonst schrieb er eines der berühmtesten Bücher zu dem Thema, selbst erlebt und erlitten, erkannt und dennoch nicht zu überwinden) wie auch auf seine Sinnlichkeit bezog.
Dostojewskij war in erster Ehe mit Maria Issajewa verheiratet, einer Witwe, die einen problematischen Sohn in die Beziehung mitbrachte, vor allem finanzielle Ansprüche stellte und mit der er weidlich unglücklich war. Der Strudel seines Lebens macht ihn – in dieser Biographie und ihrer wunderbaren Ausführlichkeit – oft selbst zu einer Art von Romanhelden. Und keinesfalls zu einem, der sittlichen Maßstäben entsprochen hätte.
So erlebt man ihn beispielsweise als rund 40jährigen rücksichtslos ganz im Bann dieser Leidenschaften, der Sexualität und des Spiels. Ungeachtet seiner todkranken Frau zuhause, reist er nach Europa, macht bei den Spielcasinos von Wiesbaden und Baden Baden Halt, verliert mehr, als er gewinnt, und vor allem mehr, als er sich leisten kann. Mehr noch, er reist zu seiner jungen Geliebten Apollinarija Suslowa nach Paris, die ihn in seiner Abwesenheit betrogen hat, macht nichtsdestoweniger mit ihr eine zweimonatige Italienreise, gerät in äußerste finanzielle Schwierigkeiten und kehrt ohne die literarische Ausbeute, die sein immer hilfreicher Bruder von ihm erwartet, nach Rußland heim, um gerade noch den Tod der Gattin in Moskau mitzuerleben. Ein Romanheld, der vielleicht von Dostojewskij selbst sein könnte, wenn dieser angesichts der aufgebahrten Leiche der Gattin über Paradies und ewiges Leben sinniert…
     Glücklicherweise war Dostojewskijs zweite Ehe mit Anna Snitkina, die ihm auch Kinder schenkte, überaus glücklich. Ihr Verständnis, auch für seine Spielsucht, überstieg wahrlich alles, allerdings führte Gattenliebe zu einem Witwentum, das in der Verherrlichung des Verstorbenen den Lebensinhalt sah. Ihre Beschönigungen haben das (in der Nachwelt stets schwankende, wie der Autor ausführlich ausführt) Dostojewskij-Bild zweifellos verzerrt, und darum versteht man auch, daß Andreas Guski sie weniger zitiert als es aufgrund der von ihr hinterlassenen Schriften möglich gewesen wäre.
Sonst besteht eine der Stärken seines Buches in der Intention, nicht nur das Leben „außen“ nachzuerzählen, sondern auch den Menschen plastisch zu machen, wie er der Mitwelt erschien: Sehr viele Schilderungen von Zeitgenossen spiegeln in ausführlichen Zitaten – durchaus nicht einheitlich – den Menschen Dostojewskij. Der natürlich, wie jeder Mensch, letztlich ein Geheimnis bleibt.
 
     Aber letztenendes ist es nicht die immer spannende Geschichte seines Lebens, das von großen Verwerfungen gekennzeichnet ist, von Flucht-Reisen nach Europa, Auseinandersetzungen mit Kollegen und Verlegern, von einer nie klaren politischen Linie (ob „Revolution“, ob Anbiederung an das Zarenreich), letztendlich von jenem Antisemitismus, der die Juden-Klischees der Zeit ohne weitere Reflektion aufnahm.
Schließlich geht es um die Werke, die Fjodor Michailowitsch Dostojewskij schuf, und da ist Andreas Guski mit Schilderungen über Entstehung, Inhalt, Interpretation, Nachwirkung stark vertreten (Studenten, die über einzelne Werke zu schreiben haben, werden hier reich fündig). Die genaue Analyse des Werks geht mit der genauen Analyse (bei chronologischer Schilderung) des Lebens Hand in Hand, und das in bestechender Genauigkeit. Mehr kann man sich nicht wünschen.
 
Andreas Guski – „Dostojweskij“
Eine Biographie
© 2018 Verlag C.H. Beck, 464 Seiten, gebunden, 30 Abbildungen, Personenregister - ISBN:
978-3-406-71948-6
28,- €
Weitere Informationen: https://www.chbeck.de/