Im Geiste Thomas Manns

Frido Mann – „Das Weiße Haus des Exils“

von Jürgen Koller

Im Geiste Thomas Manns
 
Umwidmung des Weißen Hauses des Exils
 
Am 18. Juni 2018 eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das ehemalige Wohnhaus der Familie Thomas und Katia Mann im sogenannten Riviera-Distrikt von Pacific Palisades, westlich von Los Angeles im US-Bundesstaat Kalifornien, als transatlantische Dialog- und Begegnungsstätte. Das Haus, auch als Weißes Haus des Exils bekannt, ist kein Literatur-Museum für das Werk des Nobelpreisträgers Mann, sondern soll zukünftig im 'Geiste Thomas Manns' dem freiheitlich-demokratischen Gedankenaustausch zwischen deutschen Fellows verschiedenster Disziplinen und US-amerikanischen Gesprächspartnern dienen.
 
     Thomas Mann kaufte im Jahre 1941 6000 qm einer ehemaligen Zitronenplantage und ließ sich nach den Plänen des Architekten Davidson das Haus mit 400 qm Wohnfläche bauen. Auch der Architekt Richard Neutra bemühte sich seinerzeit um den Auftrag, aber Thomas Mann lehnte dessen “kubischen Glaskastenstil“ ab. Die Baukosten der zweigeschossigen Villa im sogenannten International Style, die 1942 bezugsfertig wurde, beliefen sich auf 30.000 $. Thomas Mann verfügte durch seine einträgliche Ehrenstellung als „Consultant in Germanic Literature“ an der Library of Congress und durch seine lukrative Vortragstätigkeit über die nötigen Einkünfte. Seine Briefpartnerin und Gönnerin Agnes E. Meyer bürgte für die Hypothek. Gleich in der Nachbarschaft befand sich die Villa Aurora, in der Lion Feuchtwanger und dessen Frau seit 1943 im Exil lebten. Die neue Wohn- und Arbeitsstätte Thomas Manns entwickelte sich schnell zu einem Treff bekannter deutscher Exilanten aus Literatur und Musik, ebenso amerikanischer Kunst- und Kulturschaffender. Zu den Gästen zählten die Feuchtwangers, Brecht, Adorno, Werfel, Heinrich Mann, Schönberg, Eisler, Russel, Einstein und viele andere, aber auch Schauspielgrößen wie etwa Charlie Chaplin. Man politisierte über den Krieg im fernen Europa, über die Zukunft Deutschlands, über die Schriftstellerei und über die immensen Probleme des Drehbuchschreibens für Hollywood. Mehrmals monatlich besuchte Eva Hermann, erfolgreiche US-amerikanische Karikaturistin, Autorin und liebenswürdige „Geisterbeschwörerin“ die Manns. Ob ihrer Schönheit und ihres klassischen Profils hatte Thomas Mann für sie den Namen „Gemme“ gefunden. Eva Hermann, 1901 in München als Tochter eines US -Malers geboren, war eng mit Erika Mann, aber auch mit Klaus und Golo Mann befreundet. Zeitweise lebten ja diese Mann-Kinder mit im Weißen Haus, wenn es deren Armee-Dienst zuließ.
 
     Im Jahre 2016 stand das Gebäude zum Verkauf. Einen Hinweis auf die prominenten Vorbesitzer gab es nicht, es drohte der Abriß. Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller und andere Autoren forderten, das Gebäude zu erwerben und in eine Stätte der Erinnerung und Begegnung zu verwandeln. Auch der damalige Außenminister Steinmeier und Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstützen den Vorschlag. Im November 2016 kaufte die Bundesrepublik das Haus nach zähen Verhandlungen für rund 13 Millionen $. Dieser Ankauf wurde von Anwohnern des Riviera-Viertels unterstützt, um den Verkauf an internationale Immobilienmakler zu verhindern. Das anfängliche Unbehagen jüdischer Anwohner des Viertels gegenüber dem Kauf durch die deutsche Regierung konnte ausgeräumt werden. Die Umbauarbeiten kosteten etwa 5 Millionen $, dabei blieben der Grundriß und wesentliche Teile der Bausubstanz erhalten, speziell das ehemalige Arbeitszimmer Thomas Manns. Wie bei Bauten der bundesdeutschen Regierung nicht ungewöhnlich, gab es in der Folge 'politisches Gezerre', diesmal, weil es keine öffentliche Ausschreibung gegeben hatte. Der Haushaltsausschuß des Bundestages mußte sich deshalb mit der Angelegenheit beschäftigen. Finanziert wird die Begegnungsstätte aus Mitteln für Kultur und Medien der Bundesregierung, durch Mittel des Auswärtigen Amtes sowie durch Stiftungsgelder. An der Eröffnung im Juni 2018 nahm auch der Enkel von Thomas und Katia Mann, Frido Mann teil, der seine frühe Kindheit in diesem Haus verbracht hatte.
 
     Frido Mann, 1940 in Monterey, Kalifornien geboren, studierte Musik, Katholische Theologie und Psychologie. Viele Jahre arbeitete er als klinischer Psychologe in Münster, Leipzig und Prag. Heute lebt er als freier Autor in München. Sein Vater war der Bratschist Michael Mann, jüngstes Kind von Thomas und Katia Mann. Da die Eltern von Frido Mann viel auf Konzertreisen waren, verbrachte der kleine Frido oftmals viele Wochen im Haus seiner Großeltern. Im März 2018 besuchte Frido Mann für einige Tage das bezugsfertige, aber noch nicht möblierte Weiße Haus seiner Kindheit. In seinem Buch „Das Weiße Haus des Exils“ reflektiert Frido Mann diesen fünftägigen Aufenthalt in Essay-Form als eine „persönliche Reise“ zurück in seine Kindheit. Beim Gang durch das neue, 'alte' Weiße Haus wurden Erlebnisse, oftmals nur schemenhaft in der Erinnerung, plötzlich wieder lebendig – das Haus mit seinen Zimmerfluchten, mit dem eleganten Living-Room, seinem Kinderzimmer und natürlich das Arbeitszimmer des Großvaters. Frido Mann war der Lieblingsenkel von Thomas Mann und so wird für die Leserin, den Leser eine menschlich-familiäre Seite des Groß-Schriftstellers erlebbar, die bis dato kaum bekannt war. Für Thomas Manns Kinder war der kritische, oftmals auch ab- und zurückweisende Vater im Gespräch untereinander, aber auch mit Dritten, nur T.M., eben eine in abgehobenen Sphären wirkende Institution. Frido Mann erinnert sich an die täglichen Spaziergänge vor dem Mittagessen mit dem Großvater, an das geduldige Vorlesen von Märchen, aber auch daran, daß die Großeltern von einem Polizisten auf der Straße ermahnt wurden, daß es in der Öffentlichkeit während des Krieges verboten sei, Deutsch zu sprechen.      
     Erinnerungssplitter - wie Fridos Tante Erika vom Sieg der Royal Air Force über Görings Luftwaffe schwärmte oder die schemenhafte Erinnerung an die Landung der Alliierten in der Normandie und das Hoffen seines Großvaters auf den Zusammenbruch des Nazi-Reichs. Nach dem Krieg waren die Nürnberger Prozesse Dauerthema in der Familie. Aber es gab auch Verdrängungen - so wurde nicht über Thomas Manns schwere Operation gesprochen und auch nicht über den Selbstmord von Klaus Mann 1948 in Nizza. Lebendig im Gedächtnis ist Frido Mann das 'Europa-Reisefieber', das seine Großeltern 1947 erfaßt hatte, als diese US-Reisepässe erhalten hatten. In seinem Essay hat Frido Mann auch die Sorge seines Großvaters über das Wirken des Unamerican Committees gegen liberale Demokraten dargestellt. Nach der Ausweisung des Komponisten Hanns Eislers in Richtung Europa war seinerzeit für Thomas und Katia Mann die Rückkehr auf den alten Kontinent jahrelang ein Thema. Der „schwindende Rechtssinn“ und die „abgründige Verlogenheit“ der US-Behörden wurden für die alten Manns immer unhaltbarere Zustände.
 
     Entsetzt und zugleich erschrocken mußte Thomas Mann, so sein Enkel im Buch „Das Weiße Haus des Exils“, 1951 im Time Magazine neben seinem Foto den polemischen Text lesen, daß es ihm an Loyalität gegenüber den USA mangele. Im September 1951, nach einer befristeten Europareise, erfolgte die letzte Rückreise von Fridos Großeltern nach Pacific Palisades, da lebte aber der Enkel schon in Österreich und später in der Schweiz. Ende 1952 übersiedelten die Großeltern endgültig in die Schweiz – aber Thomas Manns Sehnsucht nach seinem „schönsten Arbeitszimmer seines Lebens“ sollte bleiben. Im September 1953 erfolgte dann der Verkauf des Hauses für 50.000 $ an das junge Rechtsanwalts-Ehepaar Chet und Jon Lappen, die das Haus bis 2016 besaßen.
In einem von Frido Mann abschließend in seinen Essay eingefügten Gespräch mit Mönchen aus L.A. über das zukünftige Wirkungsfeld des Weißen Hauses wird gemeinsam konstatiert - „ohne Dialog (gibt) es keine Zukunft der Demokratie“.
 
Frido Mann – „Das Weiße Haus des Exils“
© 2018 S. Fischer Verlag, 208 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag -  ISBN: 978-3-10-397404-1
20,- €
Weitere Informationen: www.fischerverlage.de