Jetzt dirigiert er auch noch…

Otto Schenk – „Wer’s hört, wird selig“

von Renate Wagner

Jetzt dirigiert er auch noch…
 
Jetzt dirigiert er auch noch… aber wenn man lebenslang ein so passionierter Musikliebhaber war und ist wie Otto Schenk, dann wünscht man sich zum 88er auch das. Und schreibt wieder ein Buch. Diesmal über Musik, weil er dazu so viel zu sagen hat.
     Musik hat er immer geliebt, von früher Jugend an – aber die Klassik. Da ging es ihm wie manchem, der diese Erfahrung mit ihm teilt, daß die ganze Pop-Welt unbeachtet an ihnen vorbei gerauscht ist. Ungehört. Weil niemand, der dem Rausch der Klassik verfällt, anderes braucht. Dabei war er nicht gut im Singen und im Klavierspielen. Aber die „Achte“ von Bruckner hat er auf Anhieb verstanden… Und wenn man einen Vater hat, der einem die Wagner-Opern erzählt (statt Märchen) und die musikalischen Höhepunkte vorsingt (vorkrächzt), dann ist der Lebensweg ja auch schon bereitet. (Seiner Wagner-Arbeit widmet er später ein ganzes langes Kapitel.)
 
     Glück hatte Otto Schenk auch. In seinen Anfängen, mit Ende 20, galt er als begabter Schauspiel-Regisseur, wenn auch mit Schlagseite zum Boulevard. Nicht jeder Intendant hätte ihm die „Zauberflöte“ anvertraut. Fritz Klingenbeck, der damals das Salzburger Landestheater leitete, tat es. Und so begann’s. Und logischerweise ist in der Folge sehr viel von Regie – oder „vom Inszenieren“ die Rede. Und da schwimmt Schenk natürlich gänzlich gegen den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts. So, wie er in Mozart die „Natürlichkeit“ entdeckt hat, sucht er auf der Bühne schlichtweg die menschliche Wahrheit. Er gibt den Sängern gern äußere Tätigkeiten, die man zur Charakterisierung einer Situation einsetzen kann (und wenn einer nur an seiner Brille rückt): „Jeder Sänger ist glücklich, wenn man ihm etwas zu tun gibt“, meint Schenk. Gefühle müsse man ihnen nicht erklären, die sage ihnen die Musik. Aber was sie machen sollen, das wissen sie gern.

     Musik ist für Schenk eine Sprache, „der singende Mensch ist ein darstellender Mensch, ein echter Mensch, kein seltsames, unnatürliches Wesen.“ (Man sieht schon, wie die heutigen Regisseure ungläubig und herablassend den Kopf schütteln.) Und so ist er Zeit seines Lebens doch recht erfolgreich verfahren.
     Außer an der Wiener Staatsoper hat Schenk am häufigsten an der Metropolitan Opera in New York inszeniert. Die Sänger mochten, was er aus ihnen herausholte. Eines Tages rief ihn Met-Direktor Rudolf Bing an. Schenk meinte, er habe keinen Agenten (in Amerika muß jeder einen Agenten haben). Doch, meinte Bing, die Birgit Nilsson. Sie will die Tosca singen, aber sie macht es nur, wenn Sie Regie führen. Und sogar Franco Corelli, von dem es hieß, er käme nicht zu Proben, war immer da, weil er so begeistert von dem war, was Schenk machte. Er selbst meint, gewissermaßen bescheiden: „Ich habe mich immer in alles eingemischt.“
Schenk hat der Met unvergessliche Abende gegeben (darunter einen sehr schönen „Ring des Nibelungen“), und er hat mit vielen Sängern gearbeitet, die für ihn so wichtig waren wie er für sie. Er würdigt sie in diesem Buch, anekdotisch, aber auch analytisch – die Janowitz, die Holm, die Silja, die Popp, die Fassbaender, die Ludwig, die Rysanek, den Kmentt, den Ridderbusch, den Waechter, den Weikl… und viele andere. Er erinnert sich an die unglaubliche Stimme des Karl Terkal. Er schwärmt von Domingo, der „wie ein edles Raubtier“ ist und sofort alles umsetzt, was man ihm sagt. Und er gesteht, einer Künstlerin regelrecht verfallen zu sein: der Netrebko. Wenn man sich erinnert, was sie als „seine“ Norina in „Don Pasquale“ an der Met geleistet hat, versteht man es voll und ganz.
 
     Das Buch ist voll mit Bildern, und weil es in die Zeit zurück geht, als Schenk jung war, sind es die anderen auch – der Karajan, der Bernstein und alle, alle Sänger, mit denen er gearbeitet hat… für Opernfreunde eine selige Achterbahnfahrt der Erinnerung.
     Am Ende sind alle seine Opern-Regiearbeiten verzeichnet. Von – nach „Vorarbeiten“ – jenem „Don Pasquale“ 1961 an der Volksoper, mit dem es so richtig begann (damals hatten Opernfreunde in Wien auch das Gefühl, einen neuen Regisseur „entdeckt“ zu haben), bis zu dem „Schlauen Füchslein“ 2014 an der Staatsoper, mit dem es möglicherweise geendet hat und wo der Zeitgeist schon über ihn hinweggebraust war.
Schade, meint Schenk, daß sich seine große Sehnsucht, etwas mit Christian Thielemann zusammen zu machen, nicht mehr erfüllen wird. Aber – wer weiß?
 
Otto schenk – „Wer’s hört, wird selig“
Musikalisches und Unmusikalisches
2018 Amalthea Verlag, 240 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen - ISBN-13: 978-3-99050-139-9
26,- €
Weitere Informationen: https://amalthea.at