Im Wackelpeter fehlt noch Kokain

Sebastian Krämer – „Vergnügte Elegien“

von Frank Becker

Puppi Duppi
oder
Im Wackelpeter fehlt noch Kokain
 
Sebastian Krämer gibt dem Chanson ein neues Gesicht
 
Seit der großen Liedermacher-Zeit der 70er Jahre und der Renaissance des Chansons durch Pigor und  Eichhorn vor gut 20 Jahren hat eine solche Stimme, haben solche Lieder gefehlt. Sebastian Krämer spielt mit seinen Vergnügten Elegien in einer Liga mit Frank Wedekind, Konstantin Wecker und Hannes Wader, mit Georg Kreisler, Christof Stählin (vor dem er sich mit dessen Der arme Poet verneigt) und Ulrich Roski, mit Reinhard Mey, Klaus Hoffmann, Hermann van Veen, Manfred Maurenbrecher und Robert Long. Zärtlich makaber, ernsthaft skurril und freundlich böse besingt Krämer, was ihm begegnet und was ihn umtreibt. Liebevoll morbide erzählen seine Texte von Tod und Verfall, von Verbrechen, Schizophrenie und falscher Soap-Realität. Bei all dem kann man ihm einfach nichts übel nehmen, geht er doch so höflich mit allem um, was trist und traurig, finster und verderblich ist: Mit verlorenen Sachen, geplatzten Zielen, vergessenen Puppen, entwürdigten Hexen, tödlichen Zwischenfällen und dumpfer Hilflosigkeit. Und nicht zu vergessen – bei aller Tristesse und Melancholie urkomisch. Sebastian Krämer ist ein Poet, ist der Sonderfall, auf den wir lange gewartet haben.
 
     Das Metropolis Orchester Berlin steht ihm symphonisch zur Seite, er selbst bedient zur eigenen Begleitung das Pianoforte mit Bravour. Neben neuen Studioaufnahmen sind auch Teile der Premiere des Bühnenprogramms im Heimathafen Neukölln zu hören, und Sebastian Krämer erweist sich sowohl im Studio als auch vor Publikum als eine echte Hausnummer.
Die Doppel-CD birgt dankenswerterweise ein 40-seitiges Booklet mit allen Liedtexten und Zeichnungen der Illustratorin Charlie Jinx, die LP-Edition kann außerdem mit einem Faksimile der legendären Krämer Deutsch-Klausur „Durfte Max Brod Kafkas Werk erhalten?“ aufwarten, deren 18½-minütiger köstlicher Live-Vortrag Krämers zum quietschenden Vergnügen des sich in den Schulbänken von einst wiederfindenden Publikums in Prosa samt Orchestrierung der musikalischen Passagen auch auf der zweiten CD/Platte zu hören ist.
 
Der 1975 in Ostwestfalen geborene Sebastian Krämer wäre dank seiner ebenso klugen wie witzigen und bösen Texte übrigens ein würdiger Träger des Peter-Hille-Preises, auch als Nieheimer Schuhu bekannt. Von den Musenblättern wird er nebst einer dringenden Empfehlung mit unserem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet.


Sebastian Krämer - Foto © 2017 ChristianBiadacz

 
Sebastian Krämer – „Vergnügte Elegien“
© + (P) 2018 Reptiphon
Sebastian Krämer (voc) - Das Metropolis Orchester Berlin unter Burkhard Götze – The Mixed Martinis unter Manuel Rösler
               
CD I - Im Studio (meist) mit dem Metropolis Orchester Berlin
1. Puppi Duppi – 2. Für eine verlorene Sache – 3. Knorrpromenade 9 – 4. Kleines Requiem – 5. Der Buchleser – 6. Patricks Zimmer – 7. Chanson d´Aventure – 8. Dolo – 9. Erlaubte Liebe – 10- Sobald er den Mund aufmacht
Zeit: 46:42
 
CD II - Live mit dem Metropolis Orchester Berlin am 13.10.2017 im Heimathafen Neukölln, Berlin
1. Im Planetarium – 2. Da fehlt noch Salz am Honigkuchenpferd – 3. Die schönsten Kannibalenkochrezepte – 4. Schickiwiki – 5. Durfte Max Brod Kafkas Schriften erhalten? – 6. Christof Stählin: Der arme Poet – 7. Vorher wissen wollen
Zeit:  49:33
Gesamtzeit: ca.  1:40:00
 
Weitere Informationen:  www.sebastiankraemer.de