Rauchende Colts…

Michael Zabka – „Da blubbern die Hormone“

von Frank Becker

Titelzeichnung: Heiko Sakurai

Rauchende Colts…

...und Ingrid Steegers Busen

„Wir waren ständig auf der Suche nach Nacktem oder zumindest Halbnacktem.
Deshalb fanden wir auch plötzlich die Otto- und Neckermann-Kataloge durchaus
lesenswert. Strapse, durchsichtige Slips und Büstenhalter bis Größe Doppel D –
wir begannen, uns für Mode zu interessieren“
 
Erinnern Sie sich noch an die Ruhrgebiets-Roman-Trilogie von Hans Henning Claer, die in den 70ern mit „Laß jucken Kumpel“, „Bei Oma brennt noch Licht“ und „Das Bullenkloster“ den Pott so vorstellte, wie ihn keiner sehen wollte, wie er aber doch war. Na ja, natürlich literarischen ein bißchen überhöht. Auf jeden Fall rannten nach der Verfilmung die Zuschauer den Kinos die Türen ein, denn sehen wollte das jeder, vor allem auf erwachsen getrimmte Jugendliche. Wobei wir schon bei dem Buch sind, das ich Ihnen heute vorstellen möchte: Michael Zabkas „Da blubbern die Hormone“. Denn in den 70ern konnten schlecht bis gar nicht aufgeklärte junge Burschen ihre Informationen über Sex & Co. wenigstens aus Romanen, einschlägigen Gazetten, Kino und Fernsehen beziehen. Von dieser begnadeten Zeit seiner Kindheit und Jugend erzählt Zabka in seinem Episoden-Roman.
 
Lassen wir doch einfach den Autor etwas über sein Buch sagen: Pubertät – da müssen wir durch. Alle. Es ist eine spannende Zeit. (…) Als Fußballspielen plötzlich langweilig wurde und „Klimbim“ interessant. Als Jungs die Mädchen im Bus und auf dem Schulhof mit anderen Augen anzusehen begannen und neugierig auf Filme ab 18 wurden. Als sie „Praline“, „Schlüsselloch“, „Sexy“ und „St. Pauli Nachrichten“ entdeckten und in der Stadtbücherei nach erotischer Literatur (bzw. nach den bewußten „Stellen“, Anm. d. Red.) suchten. Ganz bestimmt war früher nicht alles besser – es war nur anders. Die Musik zum Beispiel. Oder der Schulunterricht. Auch darum geht es in diesem Buch. Und um Eltern, die ihren Sohn mit Humor, Verständnis und viel Liebe begleitet haben.
Viele glauben ja, irgendwann einmal ihre Lebensgeschichte erzählen zu müssen. (…) Uwe zum Beispiel, ein Pastor, war skeptisch. „Es gibt Bücher“, sagte er, „auf die die Welt nicht wartet.“ Womit er recht hat. Ich fürchte, er meinte meines. „Eis am Stiel“, Teil 37. Ich überarbeitete den Text und las ihn zu später Stunde, stolz und nicht mehr ganz nüchtern, einigen Frauen meines Vertrauens vor. Tina, Dagmar, Kerstin und Brigitte machten mir Mut. (…) Nicht alle, über die ich schreibe, kommen gut weg. Ich vermute, daß auch sie liebenswerte Seiten hatten. Es gelang ihnen aber, diese vor mir zu verbergen. Daher habe ich vorsichtshalber (fast) alle Namen geändert.

Kommune 1 mit Uschi Obermaier, Ochsenschwanzsuppe aus der Dose, Carrera-Bahnen, BRAVO-Starschnitte, Emmanuelle, Stuyvesant, Flipper, St. Pauli Nachrichten, Sweet, Mal Sondock, Barry Ryan, Schulmädchen-Report, Petra, Astrid, Katja und Iris, Sexta, Quinta, Quarta, Untertertia, Rauchende Colts am Sonntagnachmittag mit Marshal Matt Dillon, Doc Adams, Festus und Miss Kitty, der edlen Hure – nur ein paar der Stichworte, an denen sich viele junge Leben dieser Zeit des Erwachens entlanghangelten – und mit ihnen noch heute die wehmütigen Erinnerungen. Eine besondere Rolle kam jahrelang der süßen Ikone Ingrid Steeger zu, die in zahllosen Report- und Sexfilmchen sowie Nebenrollen in Krimis auftrat. Jüngst war im Fernsehen noch einmal „Die Tote aus der Themse“ aus dem Jahr 1971 zu sehen, ein mäßiger Streifen, selbstverständlich geadelt von Ingrid Steegers sensationellem Busen.
Damit auch diejenigen unter unseren Lesern, die Ingrid Steeger möglicherweise nicht kennen (oder es empört von sich weisen, haha), von nun an wissen, was damals Sache war, hier das Kapitelchen „Schlitz im Kleid“ mit freundlicher Erlaubnis des Autors in Gänze:
 
Schlitz im Kleid
 
Sehr geehrte Frau Steeger, neulich war ich beim Hausarzt. Nichts Schlimmes, nur eine hartnäckige Erkältung. Mein Arzt ist drei Jahre jünger als ich. Ich erzählte ihm vom Buch, das ich schreibe, und daß auch Sie darin vorkommen. Weil Sie für uns Jungs ziemlich wichtig waren. Stimmt, sagte er, aber noch besser war die „Fa“-Werbung. Ich sehe das anders: Die war mir schon damals zu sauber.
Ich habe Ihnen viel zu verdanken, liebe Ingrid, und Ihren Busen habe ich geliebt. Sie haben ihn uns ja auch ständig gezeigt, immer dienstags im Ersten Programm in Klimbim. Das Titellied kann ich noch heute mitsingen. Zumindest die eine Stelle: „Klimbim ist unser Leben, und ist es mal nicht wahr, dann mach ich mir ’nen Schlitz ins Kleid und find’ es wunderbar.“ Zu meiner Freude haben Sie sich oft das Kleid geschlitzt. Klimbim war nicht lustig, eher albern. Trotzdem habe ich keine Folge verpaßt. Wegen Ihnen und Ihrem Busen. Mindestens einmal pro Sendung haben Sie sich frei und mich damit ziemlich nervös gemacht. Als ich Sie zum ersten Mal mit schwarzen Strümpfen, Strapsen und vor allem oben ohne sah, ahnte ich, daß die Welt mehr zu bieten hat als Fußball.
Das ging nicht nur mir so. Mittwochs morgens im Bus, auf der Fahrt zur Schule, hatten mein Freund Frank und ich nur ein Thema: Ihre Brüste. Was haben wir geschwärmt: von der Größe, von der Form. Sie waren für uns die schönste Frau der Welt. Wenn wir mal heiraten würden, dann nur Sie. Oder zumindest eine, die so aussieht wie Sie. Auch nachmittags beim Fußball wurde der Fernsehabend ausgiebig nachbereitet: „Klimbim gesehen? Hohoho…“
Danke, Ingrid Steeger.
Das Fernsehen hatte pubertierenden Jungen in jenen Tagen durchaus etwas zu bieten; man mußte nur wissen, wo. Klar: Den Musikladen guckte man nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der vollbusigen Go-go-Girls, die mal in nassen T-Shirts, mal ganz ohne tanzten. Disco war besonders interessant, wenn Boney M. oder Clout auftraten. Einige Mädels der Bands hatten, man ahnt es, nämlich ansehnliche Oberweiten. Und auch beim Tatort waren es nicht Zollfahnder Kressin oder Hauptkommissar Haferkamp, die uns vor den Fernseher lockten. Nein, es war die realistische Chance, Nacktes zu sehen.
Ein echter Geheimtipp aber war das ABC der Liebe im Dritten. Dort wurden Ausschnitte aus erotischen Operetten gezeigt, wobei nur die Musik etwas störte. Das Besondere beim Liebes-ABC: Es waren nicht nur nackte Frauen zu sehen, sondern auch Männer dabei. Das Spiel wurde zunehmend eindeutiger.
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Also: Allen großen Jungs zwischen 50 und 70, nicht nur denen im und aus dem Ruhrgebiet, möchte ich Michael Zabkas köstliches Erinnerungs-Buch dringend ans Herz legen. Sie werden es lieben. Ich glaube aber auch allen anderen Vätern und Söhnen wird es gefallen. Von mir bekommt es auf jeden Fall unser Prädikat, den Musenkuß.
 
Michael Zabka – „Da blubbern die Hormone“
Groß werden im Ruhrgebiet der 70er Jahre
Roman - Ruhrgebiet de luxe
Titelzeichnung von Heiko Sakurai
© 2018 Verlag Henselowsky Boschmann 96 Seiten, gebunden, Lesebändchen - ISBN 978-3-942094-79-5
9,90 Euro
Weitere Informationen: http://www.vonneruhr.de