Gespensterhäuser, Hängende Gärten und die Enden der Welt

Martin Zimmermann - „Die seltsamsten Orte der Antike“

von Renate Wagner

Gespensterhäuser, Hängende Gärten
und die Enden der Welt
 
Mysteriöse Orte haben in der gegenwärtigen Buchszene ihren festen Platz. Man sucht sie nur im allgemeinen in der näheren Umgebung oder auch in Burgen und Schlössern der Region. Den mysteriösen Orten der Antike nachzuspüren, blieb nun dem Münchner Professor für alte Geschichte, Martin Zimmermann, vorbehalten, der allerdings auch den griffigen Untertitel wählte: „Gespensterhäuser, Hängende Gärten und die Enden der Welt“.
Und so penibel er auch selbst unterwegs gewesen sein dürfte – alles, was er beschreibt, kann er wohl gar nicht gesehen haben (nicht nur, weil viele der Ruinen viel zu weit ab der touristischen Trampelpfade liegen). Das würde einerseits das menschlich Mögliche übersteigen, anderseits existiert manches nicht einmal, sondern ist nur in den Bereich der Legende zu verweisen. Aber immer fündig werden kann man in der Literatur.
Zimmermann streckt die Orte der Antike zeitlich und vor allem räumlich weit: von Thule, irgendwo im nördlichen Eismeer, nicht verbürgt, bis tief in den Hindukusch zu jenem Alexandria Eschate, das wohl die äußerste Stadtgründung des Imperiums von Alexander dem Großen war.
Alexander, die Ägypter, die Griechen und die Römer sind es vor allem, auf deren Spuren sich Zimmermann setzt, in vielen Einzelkapiteln, die er unter gewissen Schwerpunkten zusammen gefasst hat, ob Orte der Liebe oder des Sieges, des Wissens oder des Todes.
Seltsame Orte sollten es jedenfalls sein, und wenn der Autor zu jedem Ort Länge- und Breitegrade angibt, hilft es bei der Verortung von Unbekanntem, wozu auch zwei Karten am Frontispiz und auf den beiden Schlußseiten des Buches helfen, die erste den Mittelmeerraum umfassend, die zweite den Nahen und Mittleren Osten. Überall findet man sich als Leser überrascht, überall hat der Autor Dokumente aufgespürt und vermag Geschichten zu erzählen – von Menschen, die einst dort lebten, aber auch von solchen, die hier als Entdecker glücklich waren.
 
Manche Orte kennt man per Namen, meist ohne Genaues dazu zu wissen, viele sind gänzlich unbekannt. Ja, und wo waren die Hängenden Gärten der Semiramis? Wo ist das Grab der Kleopatra? (Mit dem Grab von Alexander gibt sich der Autor gar nicht ab, dazu ist ihm vermutlich zu viel geschrieben worden, er spürt lieber dem Unbekannten nach.)
Ob Eridu am Persischen Golf wirklich die „Urstadt“ der Menschheit war? Ist aus dem heute türkischen Hisarhk einfach aus touristischen Gründen „Troja“ geworden (weil man unbedingt eine vorzeigbare Ruine benötigte, um Homers Epos zu verorten)? War das Apollon-Heiligtum in Delphi in der Antike der „Nabel der Welt“ (was man sich am ehesten vorstellen könnte)? Und ist eine Senke im römischen Forum wirklich der Ort, wo die Gründung der Stadt begonnen hat? Fragen über Fragen, bunt gemischt in der Geographie und der Geschichte, keiner Chronologie und keinem anderen System folgend als einem lockeren thematischen Zusammenhang, der immer wieder gewechselt wird.
Es ist räumlich, historisch und ideologisch eine lange Reise, zu welcher der Autor die Leser mitnimmt, und man folgt ihm willig, in nicht versiegender Neugier, ob man zu Bibliotheken geführt wird oder zu Latrinen, zu Schlachtfeldern oder gar zum Tor des Hades. Es ballt sich so ungeheuer viel Wissen hier zusammen.
 
Manchmal schaltet sich der Autor übrigens auch als er selbst, quasi die Vergangenheit kommentierend, ein. Wenn etwa zur Zeit von Kaiser Claudius Beschwerden über den Zuzug von zu vielen „Fremden“ in Rom laut wurden, so war es der als Historiker beschlagene Kaiser selbst, der bewies, wie viel der Staat gerade seinen Zuwanderern verdankte. Dies als gegenwärtiger Beitrag zu einem gar nicht neuen Phänomen, das man gerne „Überfremdung“ nennt… Martin Zimmermann erzählt das seinen Lesern zweifellos ganz bewußt. Aber nicht alles ist so „real“ bis heute. So gesteht der Autor gerne ein, „daß moderne Begeisterung und Faszination in Wunschdenken münden und die archäologische Verortung mythischer Plätze beeinflußt haben, die eigentlich nicht zu lokalisieren sind“.
Solcherart geht das Buch seinen schönen Weg zwischen manch faßbarer Realität und unserem idealen Traum von der Vergangenheit…
 
Martin Zimmermann - „Die seltsamsten Orte der Antike“
Gespensterhäuser, Hängende Gärten und die Enden der Welt
2018 Verlag H.C.Beck, 336 Seiten, gebunden – ISBN: 978-3-406-72704-7
22,-
Weitere Informationen: https://www.chbeck.de