Kein „erdachtes“ Drehbuch könnte spannender sein...

„Manaslu – Der Berg der Seelen“ von Gerald Salmina

von Renate Wagner

Manaslu – Der Berg der Seelen
Österreich / 2018

Regie: Gerald Salmina
(Spielfilm / Dokumentation über Hans Kammerlander)
 
Er ist zwar nicht ganz so berühmt wie Reinhold Messner (der ja sein mediales Selbst besonders pflegt), aber wer sich für Berge interessiert, der kennt den Namen Hans Kammerlander. So viele Menschen haben schließlich nicht den Mount Everest ohne Sauerstoff bestiegen (mit Sauerstoff sei es, meint er, als fahre man mit einem leichten Motorrad bei einem Fahrradrennen mit…) – und ist dann auf den Skiern abgefahren (!!!). Das muß man sich vorstellen. Das Besondere daran: Daß es ganz, ganz selten vorkommt, daß ein Extrembergsteiger auch ein „extrem“ guter Skifahrer ist…
 
Dieser Film über Hans Kammerlander, den der heute 62jährige erzählt, immer wieder als er selbst im Bild, ist dennoch keine trockene Dokumentation. Regisseur Gerald Salmina hat eine echte Biographie mit starken Spielfilm-Anteilen gedreht. So lernt man den Hansi schon als 8jährigen im heimatlichen Südtirol kennen, Sohn armer Bergbauern, der mit anpacken mußte und vom Leben Ausdauer, Disziplin und Willensstärke und auch die Logistik im Umgang mit der Natur gelernt hat. Alles, was er für seinen „Beruf“ brauchte.
Das, was er machen wollte, lag vor seinen Augen – der am 6. Dezember 1956 in Ahornach in Südtirol Geborene sah vor sich den Peitlerkofel, und er wollte nichts anderes als auf die Berge: „I mag amal klettern.“
Man geht mit ihm diesen Weg – vom relativ erfolglosen Bergführer, der sein Leben am Bau und als Kranführer finanzierte, bis zu dem „narrischen Kletterer“, der sich doch einen Ruf erwarb, der auch Reinhold Messner erreichte. Auf der Suche nach verläßlichen Partnern für seine „Achttausender“-Unternehmungen kam er zu Kammerlander. Sieben davon haben sie gemeinsam bestiegen, dann machte Kammerlander alleine weiter – weil er keine Konkurrenzsituation wollte. (12 der 14 Achttausender sind es in seinem Leben dann geworden.)
Werner Herzog kommt manchmal im Gespräch mit Kammerlander ins Bild, und man erfährt – obwohl der Film dem Leben nachgeht – nicht nur Fakten, sondern auch Hintergründe. Was geht im Kopf dieser Extremsportler vor, was fragen sie sich, wenn sie dem eigenen Tod gegenüberstehen, wie verarbeiten sie den Tod der anderen, die an ihrer Seite sterben – wie an einem Tag, als innerhalb von vier Stunden zwei seiner engsten Freunde, Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher, 1991 am Manaslu in Nepal starben (eine Expedition, die Kammerlander selbst kaum überlebt hat).
 
Nach dem Everest war Kammerlander ein Superstar. Wer sehr hoch steigt, fällt auch sehr tief: 2013 betrunken Auto gefahren, einen jungen Mann getötet, dessen Eltern er gut kannte, von der Öffentlichkeit fallen gelassen… Der Regisseur hat dafür, wortlos, ein wunderbares Bild gefunden: Immer wieder sieht man buddhistischen Mönchen dabei zu, wie sie in langer, mühsamer Arbeit eines der Mandala aus buntem Sand herstellen – und wie sie das, was so lange brauchte, um zu werden, mit ein paar Handbewegungen wieder zerstören…
Kammerlander ist 2017, 26 Jahre nach dem Unfall, zum Manaslu nach Nepal zurückgekehrt, wo es in seinem Namen auch eine Schule gibt und er höchste Bewunderung für die Menschen hegt. Er hat den Berg gemeinsam mit Stephan Keck dann bestiegen, um diese unvollendete Episode seines Lebens auch um der toten Freunde willen abzuschließen. (Da war die Filmkamera dann live dabei mit wunderbaren Nepal-Bildern.)
Seither hat er das Extremklettern aufgegeben, weil er keinesfalls „der älteste Mann“ auf einem Berg sein will – sondern vielleicht noch als 90jähriger friedlich auf den Peitlerkofel, den ersten Berg seiner Kindheit, schauen…
 
Regisseur Gerald Salmina hat eine Menge „historisches“ Material zusammen getragen und die Zusammenfügung mit dem Nachgedrehten so fugenlos geschafft, daß alles gleichermaßen echt und dicht wirkt. Kein „erdachtes“ Drehbuch könnte spannender sein, kein Mensch könnte tiefere, ehrlichere Einblicke in sein Inneres geben wie Kammerlander es hier tut, der nichts beschönigt und sich nie aufspielt. Das ist so interessant wie aufregend wie berührend.
 
 
Renate Wagner