Aus dem Glashaus

Klaus Bergdolt - „Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen Vorurteil“

von Johannes Vesper

Italiener kriminell. korrupt, katholisch?

Deutsche Vorurteile
 
„Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen,
im dunklen Laub die Goldorangen glühen?
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht….“
Johann Wolfgang von Goethe:
Wilhelm Meisters Lehrjahre, Kapitel 34
 
Silvio Berlusconi wurde zuletzt wegen Steuerbetrugs verurteilt. Konsequent betrügerisch und kriminell hat er Italien jahrelang als Ministerpräsident geführt und spielte noch bei der Regierungsbildung 2018 eine wichtige Rolle. Aktuell schreckt uns die Finanzkrise Italiens. Die neu gewählten Populisten Italiens „betrügen ihr Volk“ schrieb die Süddeutsche am 22.10.18. Berlusconi wie die groteske Verschuldung des Landes passen ins Bild des Nord-Süd Gefälles der Moral, das seit Montesquieu (1689-1755) wohl zum geistigen Allgemeingut Europas, vor allem Deutschlands gehört. Daten, Fakten, Zahlen spielen im politischen Leben Italiens (seit Donald Trump wohl auch in den USA) keine Rolle, meint man. Wenn nun schon im 16. Jahrhundert deutsche Bischöfe als „gutmütige Goldesel“ den Papst in Rom unterstützen mußten, scheint das Problem „Italien“ schon länger zu existieren, jedenfalls im deutschen Vorurteil. Heute denkt der deutsche Tourist in Italien vor allem an Strand und Sonne, an Pasta und Pizza, an Chianti und Primitivo, an die gesunde und leichte mediterrane Küche,  weniger an Michelangelo oder das Forum Romanum, verlangt sozusagen Pesto statt Paestum. Dagegen besuchten Touristen früherer Jahrhunderte dieses herrliche Land wegen der italienischen Malerei, Bildhauerei und Architektur, durch die die Entwicklung der Kunst im Abendland vom 13.-19. Jahrhundert wesentlich beeinflußt worden ist.
     Während also Kunst und Kultur Italiens immer hoch geschätzt wurden, werden und wurden die Italiener mit ihrer in Richtung Sizilien zunehmenden Korruption und Kriminalität schon immer von oben herab mißbilligt. Klaus Bergdolt, 1990 bis 1995 Direktor des Deutschen Studienzentrums in Venedig, von 1995 bis 2014 ordentlicher Professor für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität zu Köln, hat die Geschichte, Widersprüche und Ambivalenzen dessen, was Deutsche und Italiener voneinander halten, aufgearbeitet. Hängt der italienische Nationalcharakter bzw. das, was wir in Deutschland dafür halten, vielleicht mit dem Papsttum zusammen, bzw. mit der Konkurrenz der Konfessionen? Schon Luther schien das Papsttum „vom Teufel gestiftet zu sein“. Da lag der demütigende Gang nach Canossa bereits ca. 400 Jahre zurück. Um das „dolce far niente“, das Nichtstun als Lebensziel, werden die Italiener seit Luther beneidet, der den Menschen zur Arbeit geboren sah, wie den Vogel zum Fliegen. „Was für ein Unterschied zwischen Römern und Deutschen? Jener schafft nicht und lebt… dieser lebt nicht und schafft“ meinte der protestantische Dichter Wilhelm Waiblinger, der „junge Wilde des Biedermeier „ , der „Frühreife“ aus Heilbronn, der 1830 im Alter von 25 Jahren in Rom verstarb und auf dem Protestantischen Friedhof dort begraben wurde. Schon um 1800 hielt man sich in Deutschland unbedingt für sittlich überlegen und die Italiener für „Gaunergesichter“, für „rachsüchtig und grausam“. Jedenfalls schrieben so die zahlreichen deutschen Intellektuellen nach ihren Reisen in das an sich gelobte Land, wenn nur die Bevölkerung nicht wäre. Johann Gottfried Seume, der 1802 zu Fuß von Sachsen nach Sizilien gelatscht ist, mußte seinen Mauleselführer vorab bezahlen, weil dieser um seinen Lohn fürchtete, wenn sein Reitgast erschlagen würde. Immerhin, Seume erreichte trotz gefährlicher Reisebedingungen die Heimat wieder, während der Archäologe und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann, ebenfalls aus Sachsen, nach langem Arbeitsaufenthalt in Rom und Florenz 1767 in Triest einem Raubmord zum Opfer fiel. Und Karl Friedrich Schinkel beobachtete schon 1803 in Kalabrien, das „tausendfach Schönste“ genießend, Schutzgeldzahlungen. Auch Vater Goethe, der selbst immerhin die Spielhöllen Venedigs besucht hatte, beklagte die italienische Verschlagenheit, die Neigung zu Betrug, Prostitution und Faulheit. Wenn der messerstechende Gauner Roms sich damals auf die Stufen einer Kirche retten und so dem Zugriff der Polizei entziehend konnte, versteht der Leser heute die Problematik des Kirchenasyls.
 
     Zu Schmutz, Unsauberkeit und Verkommenheit, Mord, Raubüberfälle vor allem südlich Roms in Richtung Neapel werden zahlreiche Quellen zitiert. Der prominenteste Italien-Reisen, J.W. von Goethe, war von Italiens Kunst und Landschaft begeistert, aber auch er zeigte sich den Italienern gegenüber deutlich distanziert, jedenfalls deutlich distanzierter als gegenüber den Italienerinnen. Man lese dazu seine römischen Elegien. Er war nicht der Einzige. Zu Beginn des Im 19. Jahrhundert galt Rom trotz oder wegen der Einwände gegen römische Moral und Sitten als das Mekka der deutschen Künstler. Zwischen 1813 und 1848 kamen ca. 1200 deutsche Künstler nach Rom: www.musenblaetter.de/
 
     Die Vielzahl der deutschen Vorurteile gegenüber den Italienern kann in einer Rezension natürlich nicht andeutungsweise dargestellt werden. Wie denken und dachten denn andererseits die Italiener über die besserwisserischen Deutschen, die sich als Kenner italienischer Kultur aufführten? Dabei sind sie den Italienern schon seit dem Sacco di Roma 1527 als Barbaren mit deutscher Wut (rabies teutonica) bekannt. Insgesamt war Deutschland für die Italiener trotz wirtschaftlicher Erfolge schon seit den Fuggern und auch trotz Dürer, Cranach und Holbein als Reiseziel weniger von Interesse. Und Deutschland mit seiner Korrektheit, seinem Rationalismus und seiner Effizienz gar als Modell für Italien zu empfehlen, darauf kamen nur wenige Italiener (Angelo Bolaffi: „Deutsches Herz“ 2013). Unvergessen in Italien sind die Untaten der Deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg und der Widerstand der Bevölkerung Neapels gegen die deutschen Besatzungstruppen. Die über Jahrhunderte eingebildete moralische Überlegenheit der Deutschen und deren Herabblicken auf diese Italiener kann als mahnendes historisches Phänomen bis in die Gegenwart von Bedeutung bleiben, wenn die Einheit Europas ernsthaft weiterhin versucht wird, wozu es vernünftigerweise keine Alternative geben gibt. Und wir sollten immer daran denken, daß wir vor 75 Jahren dem Ausschluß aus der Gemeinschaft der zivilisierten Völker nur knapp entgingen und sollten vor unserer eigenen Türe kehren: Die Moral in Deutschland - aktuell Betrug beim Diesel, Korruption und Kartellbildung bei Siemens und in der Stahlbranche, Geldwäsche bei der Deutschen Bank und anderes mehr - wäre in ihrer historischen Tiefe ein eigenes Buch wert.
 
     Leicht lesbar, alles andere als trocken im Stil, wird das mit großer Sachkenntnis geschriebene Buch dringend dem interessierten Leser wie dem Italienliebhaber empfohlen. Dank des umfangreichen Quellenmaterials (769 Quellenangaben) und des sorgfältigen Registers kann es auch wissenschaftlich genutzt werden.
 
Klaus Bergdolt - Kriminell, korrupt, katholisch? Italiener im deutschen Vorurteil
© 2018 Franz Steiner Verlag, 243 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-515-12123-1 (auch als E-Buch erhältlich),
32,20 €
Weitere Informationen:  www.steiner-verlag.de/