40 Jahre… - und dann nichts

Klaus Behling – „Leben in der DDR“

von Frank Becker

40 Jahre…
 
...und dann nichts
 
Das Verschwinden des Unrechtsstaates DDR ist ein Segen gewesen, die Zerschlagung ihrer wie auch immer geprägten zivilen Gesellschaft hingegen war eine Katastrophe – zumindest für die meisten der noch nicht geflohenen 17 Millionen Bürger des „zweiten deutschen Staates“. Sehr schnell war vieles von dem, was für die Menschen in der DDR wichtig war, im Rausch der erträumten Freiheit vernichtet, vergessen, verpönt. Da braucht man ein ehrliches Geschichtsbuch, das weder nostalgisch überhöht, noch abschätzig niedermacht. Immerhin geht es um die Heimat, das Leben und die soziale Gemeinschaft von  besagten 17 Millionen.
 
Die „Deutsche Demokratische Republik“, die ja nie demokratisch war, existiert seit nun fast 30 Jahren nicht mehr, aber die Debatten um die Interpretation, die Überlieferung und die möglichen Werte ihrer 40jährigen Geschichte halten unvermindert an. Kaum eine Stimme in den hitzigen Diskussionen, die dabei nicht für sich beansprucht, die Fakten „richtig“ auszulegen. Doch wie war er denn nun beschaffen, dieser nach etwa dem Lebensalter einer erwachsenen Generation schon wieder untergegangene deutsche Staat? Welche Bedingungen bestimmten das Leben der DDR-Bürger? Und warum war nach vier Jahrzehnten Schluß? Fernab jeden Anspruchs auf Deutungshoheit oder Vollständigkeit lotet DDR-Kenner und Bestsellerautor Klaus Behling (*1949) in seinem umfangreich recherchierten und packend geschriebenen voluminösen Buch die 40 Jahre DDR-Historie aus. Mehr als 300 interessante, erhellende, mitunter aber auch brisante, traurige, schaurige und witzige, in jedem Fall aber lehrreiche und neugierige Fragen stellt er sich und seinen Lesern zur Beschaffenheit der DDR - und er beantwortet sie kompetent und eloquent.
 
In den 20 Kapiteln: Schwerer Start, große Probleme – Unsere Menschen – Sozialismus in Stein und Beton – Heiße Hoffnung, kalte Mühe – Leere Beutel, leere Kassen – Berühmz, berüchtigt, vergessen und unglaublich – Wichtig und selbstbewußt, die größte DDR der Welt – Bonn und Ostberlin, Brüder und Schwestern – Angst vorm Klassenfeind – Stolpersteine und Konflikte – Kleine Freuden und riesige Träume – Kunst, Können und manch Seltsames – Im Gleichschritt mit Pauken und Trompeten – Zwischen Mangel und Weltniveau – Deutsch-Deutsches in kleinen Schritten – Hauch der Geschichte, Last der Tradition – Freunde und Besatzer – Innenansichten und Erinnerungen – Wende und Ende  - entwirft Klaus Behling, der die DDR von Kindesbeinen bis zum Mauerfall erlebt hat, die Biographie eines verlogenen Staates mit ehrlichen Bürgern. Denn nur so und nicht anders kann man die DDR richtig beschreiben.


Natürlich hört man im Zusammenhang mit der Diskussion über die DDR oft auch den auch nach der schrecklichen Nazi-Zeit gerne benutzen Satz: „Es war nicht alles schlecht“. Alles sicher nicht, aber das Wesentliche. Denn von der persönlichen Unfreiheit und den Versorgungsmängeln über die allgegenwärtige Zensur und die SED-abhängige Justiz bis hin zur flächendeckenden Stasi-Überwachung und den Morden an Menschen, die an der Staatsgrenze der DDR die Freiheit wählen und dafür ihr Leben lassen mußten, legte sich über die DDR das Netzt einer unbarmherzigen Diktatur.


Wie die Menschen, die sich mit dem System, der Partei, dem Staat arrangieren mußten, um in Frieden ihr Leben zu führen, wie ihr bis in den privaten Bereich staatlich organisierter Alltag aussah, wer außer Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Erich und Margot Honnecker die Mächtigen waren, wie man mit Juden umging (nicht freundlich, um es milde zu sagen), welche Bedeutung das Sandmännchen hatte, ob der Sex im Osten besser war, wer welche Privilegien hatte, wer wen bis in die Spitze bespitzelte, worum sie die kleinen Freuden und großen Träume drehten, warum Wismut-Kumpel sich für die russische Atombombe zu Tode schufteten, was es mit der Jugendweihe und mit der HO auf sich hatte, warum die Freikörperkultur auch ein politisches Ventil war, wer Heinz Quermann und wer Sudel-Ede war, wieso es in Leuna und Bitterfeld so stank, was mit den Witwen der Nomenklatura geschah und vieles andere mehr erzählt Klaus Behling in überschaubaren, höchst informative Artikeln. Sein Panorama der DDR gehört derzeit zu den besten Büchern über dieses Phänomen – trotz des schmerzlich fehlenden Namens- und Schlagwort-Index von mir empfohlen und von den Musenblättern mit ihrem Prädikat belohnt: dem Musenkuß.


 
Klaus Behling – „Leben in der DDR“
Alles was man wissen muß
© 2018 Verlag Bild und Heimat, 848 Seiten, gebunden, Fadenheftung, Lesebändchen, einige Illustrationen – ISBN: 978-3-95958-160-8
22,99 €
Weitere Informationen: www.bild-und-heimat.de