Seh-Reise (48)

Achtundvierzigste Ausfahrt: Colombo/Sigiriya

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (48)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
48. Ausfahrt: Colombo/Sigiriya
 

Wolkenmädchen
 
Sri Lanka, das alte Ceylon, ist sicher keine Weltgegend, in der man so schnell auf die Idee käme, ein Museum aufzusuchen. Das Leben hier wird auf der Straße gelebt, und ein Europäer hat gerade genug damit zu tun, all seinen überforderten Sinnen einigermaßen auf der Spur zu bleiben. Unter solchen tropischen Temperaturen verdampft der Sinn vollends für ein Gestern und seine Aufbahrung in abgedunkelten Räumlichkeiten mit mürber, von Jahrhunderten verbrauchter Luft und knarrenden Dielen. Und so hätte ich mit Sicherheit niemals meinen Fuß in das „Colombo National Museum“ gesetzt, wären uns nicht die Finessen der ceylonesischen Visumspolitik in die Quere gekommen, die offenbar zu nichts anderem erfunden worden sind, als dem indischen Erbfeind im Norden immer wieder eins auszuwischen. Die geplante Wiedereinreise nach Indien blieb uns verwehrt, wir durften indischen Boden nicht mehr betreten – gerade noch den Flughafen in New Delhi, um wieder nach Deutschland auszureisen. Indien ade. Wir mußten unsere restlichen Tage auf der Insel verbringen.
 
Jetzt schlug die Stunde des „Colombo National Museum“!
Ein gewaltiger, weit ausladender Bau von zwei Etagen in der Formensprache italienischer Renaissance. Das makellose Weiß seiner Außenhaut blendet das Auge hier mit Fremdheit von etwas geradezu Außerirdischem. Das Museum verkörpert die alles überstrahlende Machtgebärde des Imperialismus‘, als Europa den Globus noch unter dem Stiefel hatte. Ebenso einschüchternd makellos liegt der grüne Rasen davor, dessen Dressur zum Teppich wohl die Engländer der Welt geschenkt haben. Es war der britische Gouverneur der Insel, der 1876 den Bauauftrag zu dem Palast erteilt hatte, und zwar gleich als ein Museum. Das wunderte mich (und versöhnte mich auch wieder ein bißchen).
In einer Raumflucht, die kein Ende finden will, ist der Kunst-Schatz dieser Insel angehäuft, vom achten vorchristlichen Jahrhundert aufwärts bis in die Kandy-Zeit, als die Engländer kamen (ab 1750), eindrangen, überwältigten, in Besitz nahmen – aber auch vor dem Verfall bewahrten. (Ach, daß die Verhältnisse dieser Welt doch alle mindestens zwei Seiten haben!)
In diesem Haus war es, daß ich das Glück hatte, den „Wolkenmädchen“ zu begegnen (wenn auch nur in Reproduktionen). Ihre sinnliche Körperlichkeit riß mich mit dem ersten Blick hin – eine Verherrlichung der weiblichen Formen von einer Lebendigkeit und Nähe, die einen Europäer um Atem ringen läßt. Als Torsi wachsen diese Frauen aus den Wolken heraus, meist Kopf und Oberkörper bis zu den Hüften. Zentrum und Blickfang aber ist der prachtvolle Busen, herausgehoben zusätzlich durch das Gelb des durchsichtigen Hemdchens, das mehr enthüllt als verdeckt. Erst wenn Auge und Herz sich daran gesättigt haben, geraten die schmalen Hüften in den Blick, der Kopf, die beiden Arme mit der köstlichen Sprache ihrer Hände, in denen die indische Kunst kenntlich wird, in Malerei, Plastik und Tanz. Das deutlich dunklere Inkarnat der nackten Haut betont das Gelb des Hemdes noch einmal.


Das Gesicht unter der Goldkrone, reich mit Edelsteinen besetzt, ist zur Seite geneigt, die Augen der Frau streifen eine Leere, als interessiere sie nichts, auch nicht die eigenen Arme und Hände, die in die andere Richtung gewendet sind. Gerade die gegenläufige Doppelbewegung von Blick und Körper ist es, die dem „Wolkenmädchen“ diese hohe Konzentriertheit gibt. Weder abwesend noch selbstvergessen, ganz bei sich, schaut es über die Menschen und die Dinge hinweg. Doch wird diese Weltabgewandtheit und Interesselosigkeit von den prallen gelbgewandeten Brüsten kraftvoll dementiert. Daß Archäologen diese Frauenfiguren in den Wolken auch als Göttinnen deuten, liegt nahe (wenn man denn zwischen Göttin und Wolkenmädchen einen Gegensatz sehen möchte). Vielleicht ist es diesem Maler in ferner Zeit ja wirklich gelungen, menschliche Körperlichkeit und ihre Verklärung ins Göttliche in die Waage zu bringen, ohne die eine oder andere zu bevorzugen oder zu vernachlässigen.
 
Die originalen Fresken befinden sich bis heute in den Felsnischen auf dem steilen Weg hoch zu der Bergfestung Sigiriya, die zu Ende des fünften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung errichtet und ausgeschmückt wurde. Nicht für lange diente sie als Sitz eines lokalen Königs, ehe er von seinem Halbbruder entmachtet und getötet wurde. Seine „Wolkenmädchen“ zeigen sich bis in unsere Gegenwart hinein und behalten ihren Sinn für sich.
 
Anm. d. Red.: Sigiriya zählt zum Unesco-Welterbe. Ihr üppiges Aussehen sollen die Damen übrigens Restaurierungen in den Siebzigern verdanken – inklusive Brustlifting. Achtung: Sie zu fotografieren ist gesetzlich verboten. Gefilmt wurden sie dennoch, wie u.a. einige Youtube-Beiträge zeigen: https://www.youtube.com/watch?v=FhpO7DyubqA - https://www.youtube.com/watch?v=G92TQ9jv03A
 

Redaktion: Frank Becker