Spinoza - Das harte Glück der Freiheit

Eine Gedankensenke

von Andreas Steffens

Dr. Andreas Steffens - Foto © Frank Becker
Gedankensenke
Eine Kolumne von Andreas Steffens
senke eine ausgehöhlte form, andern dingen darin ihre gehörige gestalt zu geben’ Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch

Spinoza

Das harte Glück der Freiheit
 
Er war einer der ersten freien Menschen. Spinoza gelang das Schwierigste: sich von Herkunft und Sitte zu lösen, und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Seine Philosophie war die Antwort auf das Grundbedürfnis seines Lebens. Er entwickelte ein Denken der Freiheit aus einer Metaphysik des Diesseits, weil er frei sein wollte. Und nicht anders konnte.
Der Skandal, den er damit machte, der ihn beinahe ums Leben gebracht hätte, stammte nicht so sehr aus dem Denken des Freigeistes; vor allem aus der geradezu asozialen Konsequenz, mit der er sich den Konventionen des ihn umgebenden Lebens entzog, die mit seinen Einsichten nicht im Einklang waren. Er hätte denken können, was immer er wollte, wäre im Milieu seiner Herkunft unbehelligt geblieben, hätte er sich nur an dessen Gewohnheiten und Verhaltensregeln gehalten, und wäre es auch nur zum Schein gewesen. Dahin hatte der Vorschlag zur Güte gelautet, mit dem die jüdische Gemeinde, deren größte Hoffnung er fast noch als Kind gewesen, und zu deren Schrecken er geworden war, seine unübersehbare Abtrünnigkeit zu neutralisieren hoffte. Er lehnte ab, und wurde mit dem schlimmsten möglichen Bann belegt. Das machte ihn zum Emigranten im eigenen Land.
Der Haß, den Spinoza auf sich zog, und den er in aufreizendem Gleichmut ertrug, beruhte darauf, dass er mit der Endlichkeit des Daseins Ernst machte. Aber es war kein bitterer Ernst. Er willigte mit heiterer Ergebenheit, die Melancholie nicht ausschloß, in die Notwendigkeit der ewigen Ordnung des Seins ein. Spinoza rebellierte nicht dagegen, dass wir nicht gemacht sind, zu dauern. Er richtete sich danach.
Nichts ist gefährlicher als die Freiheit. Er lebte für sie, und hätte für sie beinahe sterben müssen. Den Mantel, den das Stilett eines Fanatikers durchstieß, der ihm zu der Zeit aufgelauert haben soll, als seine Abwendung von der jüdischen Gemeinde öffentlich wurde, ohne ihn ernsthaft zu verletzen, soll er bis an sein Lebensende aufbewahrt haben.
Die Freiheit ist gefährlich, weil sie das Kind der Freude ist, die es im ‚Jammertal’ der Welt nicht geben soll. Spinoza durchschaute, und sprach es aus, dass das Unglück der Welt die Grundlage aller Macht ist: über das Wollen, das Fühlen und das Denken. Macht besitzt, wer das Unglück verwaltet. Wer es zufügen oder abwenden, erklären oder beheben kann.
Dagegen  erdachte Spinoza das Glück, und indem er die Freude des Denkens lebte, wurde er frei. So war der Haß ihm sicher.
Die wertvollste Frucht des Denkens ist die Freude, die gegen das Unglück gleichgültig macht. Nicht fühllos, nicht unaufmerksam. Gleichgültig. Es ist schlimm, ihm unterworfen zu sein, und man soll versuchen, es zu meiden, soweit es eben geht; aber ist es eingetreten, darf man es nicht ernster nehmen, als erforderlich ist, sich gegen seine Folgen zu wehren. Man darf es nicht als den Zustand des Seins anerkennen, der dem Dasein zukommt, als welchen der Geist im Dienst der Macht es darstellt.
Die größte Tugend der aus Freude geborenen Freiheit aber ist das Mitleid: die Anerkennung aller Menschen in der Gleichheit derer, die verurteilt sind, Unglück zu erfahren. Auch das widerspricht jeder Macht.
 
 
Andreas Steffens, Schriftsteller und Philosoph; lebt in Wuppertal; 2009 Träger des Springmann-Preises; Im NordPark Verlag: >Gerade genug. Essays und Miniaturen< und >Vorübergehend. Miniaturen zur Weltaufmerksamkeit<. Ebenfalls dort: >Ontoanthropologie. Vom Unverfügbaren und seinen Spuren<, sowie >Heimat. Zwischen Selbst und der Welt< und im Athena-Verlag die kunstphilosophische Studie >Selbst-Bildung. Die Perspektive der Anthropoästhetik< - Im Arco Verlag: „Die Narbe oder Vom Unerträglichen“, 2017