Dafür geht man nicht ins Kino

„Was uns nicht umbringt“ von Sandra Nettelbeck

von Renate Wagner

Was uns nicht umbringt
Deutschland 2018

Drehbuch und Regie: Sandra Nettelbeck
Mit: August Zirner, Barbara Auer, Johanna ter Steege, Christian Berkel, Jenny Schily, Bjarne Mädel u.a.
 
Moden kommen und gehen, aber die „Patchwork“-Filme sind schon einige Zeit en vogue: Statt eine kontinuierliche Geschichte zu erzählen, stoppelt man Einzelschicksale zusammen, die nur locker zusammen hängen müssen, was meist mit einem Generalthema, starker Besetzung und etwas Heiterkeit ganz gut funktioniert (wenn auch eines der letzten Beispiele dieser Art, „Safari – Match Me If You Can“, eher schwächlich ausgefallen ist).
Nun lebt für diesen Film Drehbuchautorin / Regisseurin Sandra Nettelbeck davon, daß ein guter Ruf sehr lange anhalten kann – ihr Erfolgsfilm „Bella Martha“ ist von 2001, also schon recht lange her. Aber er war ein schöner Erfolg, hatte in einem „Therapeuten“ eine ganz witzige Nebenrolle, und wenn dieser nun (mit demselben Darsteller) aus der Distanz von mehr als eineinhalb Jahrzehnten im Mittelpunkt stehen soll, erwartet man bei dieser Filmemacherin einiges.
Um dann nach 130 Minuten, die dem Zuschauer sehr, sehr lang werden, wie ein geprügelter Hund aus dem Kino zu schleichen. Denn Sandra Nettelbeck hat – möglicherweise in der falschen Meinung, damit sehr, sehr anspruchsvoll zu sein – einen echten, zähen Leichenbitter auf die Leinwand geschickt. Jede Figur übertrifft die andere an Trübsinn, und Humor schleicht nur ganz, ganz selten einmal vorbei…
 
Dabei hat August Zirner als Psychiater Maximilian das wunderbar müde Gesicht eines Mannes, den der Menschheit ganzer Jammer anfaßt – also eines Mannes, der seinen Beruf verfehlt hat, weil die Tragödien seiner Patienten ihn selbst in die Tiefe ziehen. Außerdem hat er eine geschiedene Frau namens Loretta (Barbara Auer, einigermaßen überdreht), die alle ihre Probleme bei ihm ablädt, und zwei Töchter, von denen die ältere ihren Eltern geradezu lustvoll alles antut, was von unzufriedenen Teenagern nur kommen kann. (Daß Loretta ihren neuen Liebhaber, den von David Rott gespielten Universitätsdozenten, der es so ernst meint, unglücklich macht – wie auch anders?) So viel für die unmittelbare Familie.
Dazu kommen noch die Patienten. Der Leichenbestatter (Christian Berkel sieht wie ein Mann drein, dem sein Beruf so gar keine Freude macht) und seine schwer hypochondrische Schwester Henriette (Victoria Mayer) sitzen am Sofa, und man weiß nicht recht, was sie da wollen.
Jedenfalls haben sie eine ganz skurrile Kundin: Die Autorin Isabelle (Deborah Kaufmann), die nicht mehr schreiben will, seit ihr Geliebter im Krieg vermißt wird, und ihr eigenes Begräbnis bestellt. (Das Drehbuch ist so gezwungen und gekünstelt, daß man sich nur windet. Aber wenn der Filmtitel eine Nietzsche-Formulierung – „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ – paraphrasiert, kann der Nihilismus ja nicht weit sein…)
Das ist aber noch lange nicht alles an Trostlosigkeit: Der Pilot, der plötzlich Höhenangst hat (Oliver Broumis in reiner Fassungslosigkeit), hockt eigentlich dauernd im Spital am Sterbebett seines schwulen Geliebten und wird von dessen Familie immer weggewiesen – brüllende Verzweiflung.
Mit der Zoowärterin Sunny (Jenny Schily mit Ordnungstick) trifft unser Psychiater nur am Rande und privat zusammen, wir hingegen erleben, wie schief ihre Beziehung zu ihrem Arbeitskollegen (hinreißend Bjarne Mädel als Hannes) geht – Gott, können sich Leute das Leben schwer machen.
Ja, warum die Schauspielerin Sophie (die geradezu provokant schlecht frisierte Johanna ter Steege) einen Psychiater braucht, weiß man auch nicht, es sei denn, damit sich unser Maximilian in sie verliebt, obwohl oder weil sie einen ziemlich unguten Liebhaber (Peter Lohmeyer) hat…
Ja, und die Funktion des dauernd wie eine Trauerweide herumschleichenden und vor sich hin schweigenden Ben (Mark Waschke) wird erst klar, als Maximilian diesem seinen eigenen, melancholischen Hund überläßt – die beiden haben nämlich offenbar einen Draht zu einander…
 
Man fällt von einem Unglück ins andere, jede Szene ist noch trostloser als die vorhergegangene, und man gibt sein Interesse an den Figuren nach kürzester Zeit ab. Obwohl Sandra Nettelbeck versucht, gegen Ende noch eine Reihe von völlig unvermuteten und unglaubwürdigen Happyends zu basteln, hinterläßt dieser Film einzig das Bedürfnis, das eigene Begräbnis zu planen. Und dafür geht man nicht ins Kino.
 
 
Renate Wagner