Walter-Hasenclever-Literaturpreis für Robert Menasse

Red./Bec

Robert Menasse - Foto © Rafaela Proell / Suhrkamp Verlag

Robert Menasse wurde am Sonntag mit dem
Walter-Hasenclever-Literaturpreis ausgezeichnet
 
Der Wiener Schriftsteller und Essayist erhält den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen für sein Gesamtwerk und seine konkrete Vision einer „konsequent Währung, Wirtschaft und Politik einschließenden Europäischen Union.“ Die Preisverleihung fand am 18. November im Ludwig Forum statt.
Der Preis wurde im Gedenken an den in Aachen geborenen Schriftsteller Walter Hasenclever gestiftet. Er zeichnet literarische Arbeiten aus, die in der künstlerischen Grundhaltung, durch Themenwahl oder durch literarische Form mit dem Wirken Hasenclevers in Verbindung gebracht werden können. Walter Hasenclever wurde am 8. Juli 1890 in Aachen geboren und starb am 21. Juni 1940 in einem südfranzösischen Internierungslager.
 
Menasses satirisches Werk „Die Hauptstadt“, für das er den Deutschen Buchpreis 2017 erhielt, gilt als erster großer Roman über die Europäische Union und bietet detaillierte Einblicke in die Arbeit im Brüsseler Regierungsbezirk.
Die Jury würdigt das Gesamtwerk des 1954 geborenen Autors und seine konkrete Vision einer „konsequent Währung, Wirtschaft und Politik einschließenden Europäischen Union.“ In dieser schöpferischen Fiktion eröffne Robert Menasse neue Denkräume, architektonisch konkret und emotional brisant. Mit prächtigen Sprachbildern, Komik und präzisen Fragen verdichte er die Realität und fordere Zivilcourage angesichts zugespitzter Zeitumstände.
 
Unterstützer einer gesamteuropäischen Idee
Robert Menasse hat eine geniale Art, Texte zu verfassen, die fast gemalt wirken und enorme Komik beinhalten, dabei aber auch wichtige Themen aus Politik und Philosophie behandeln“, stellte Dr. Barbara Schommers-Kretschmer, Vorsitzende der Walter-Hasenclever-Gesellschaft, das literarische und essayistische Werk des Autors heraus. Menasse setze sich in seinen Essays verstärkt für eine gesamteuropäische Idee ein und stelle sich entschieden gegen nationale Interessen. Gerade in der heutigen Zeit, mit dem Aufschwung von nationalistischen Bewegungen in ganz Europa, sei eine entschiedene Stimme wie die des Österreichers besonders wertvoll. In seinem „Manifest für die Begründung einer Europäischen Republik“ schreibe Menasse die Kraft zur Veränderung der europäischen Krise nicht den sogenannten Pragmatikern zu, sondern den „Träumern“, den utopischen Denkern, den Philosophen und Dichtern.
 
Die Walter-Hasenclever-Gesellschaft lobt in ihrer Erklärung ausdrücklich Menasses Fähigkeit, die sonst getrennt wahrgenommenen Bereiche Literatur/Kunst, Politik und Philosophie zu einer neuen Produktivität zu verbinden, als „Think Tank neuer, humanistischer, gesamteuropäischer Perspektiven.“ Mit seiner starken Position zu Europa und der Frage „Wie stehen wir – aus der Geschichte heraus – zu Europa?“ treffe er genau das Anliegen des Namensgebers des Preises, Walter Hasenclever, so die Begründung der Jury.
 
Sprachkünstler und Einmischer
Olaf Müller, Leiter des Aachener Kulturbetriebs und Jurymitglied, sieht Menasse in der Tradition großer Erzähler der österreichischen Literatur, der mit Welterklärungshumor die Leser in seinen Bann ziehe. „Menasse ist ein Einmischer im besten Sinne des Wortes. Er führt am laufenden Band Diskussionen in der Öffentlichkeit – was ihn von anderen Autoren abhebt – und bringt seinen österreichischen Humor und all sein Wissen ein“, sagte Müller. Dr. Maria Behre, Lehrerin am Einhard Gymnasium und Mitglied der Jury, ergänzte: „Robert Menasse ist medial überall präsent, stellt sich offensiv den Fragen unserer Zeit und bezieht auch die jüngeren Menschen mit ein. Er ist ein Sprachkünstler mit hoher literarischer Erzählkraft.“
 
„Die Hauptstadt“ als kritische Bestandsaufnahme
Robert Menasses 2017 erschienenes satirisches Werk „Die Hauptstadt“ gilt als erster großer Roman über die Europäische Union und bietet detaillierte Einblicke in die Arbeit im Brüsseler Regierungsbezirk. Menasse erhielt hierfür den Deutschen Buchpreis 2017. Der in seinen Essays als Verteidiger der Europäischen Union auftretende Menasse begegnet den Karrieristen in der EU hier mit entsprechender Skepsis. Die Walter-Hasenclever-Gesellschaft erkennt im Roman eine „durchaus kritische Bestandsaufnahme eines vielstimmigen Europas, die gerade nicht auf pessimistische Unveränderbarkeit zielt, sondern darauf, Utopien in der Phantasie der Leser zu fördern.“ Menasse zeichnet sich als versierter Kenner der Strukturen in Brüssel aus und entwirft ein Kaleidoskop an Figuren, die sich mit ihren banalen und idealistischen Bedürfnissen und Wünschen durch die „Hauptstadt“ kämpfen. „Das ganze Tableau dient dazu, die Phantasie des Lesers anzuregen, sich selbst eine Vision von Europa zu machen", sagte Barbara Schommers-Kretschmer.
 
Menasse diskutierte bereits mit Garton Ash beim Karlspreis-Europa-Forum
Menasse ist in Aachen übrigens kein Unbekannter. Erst im vergangenen Jahr diskutierte er beim Karlspreis-Europa-Forum mit dem damaligen Preisträger Timothy Garton Ash angeregt über Europapolitik, Populismus und die Gefahren von nationalen Interessen für den Zusammenhalt der Europäischen Union.
 
Exponent des literarischen Expressionismus
Sein lyrisches Werk sowie sein 1916 uraufgeführtes Drama "Der Sohn" machten ihn zu einem Exponenten des literarischen Expressionismus.1917 erhielt Walter Hasenclever den Kleist-Preis, von 1924 bis 1930 lebte er als Journalist in Paris. Während dieser Zeit verfasste er eine Reihe von Schauspielen, durch die er zeitweilig zum meist gespielten Dramatiker des deutschen Sprachraums avancierte.1930 arbeitete Hasenclever als Drehbuchautor Greta Garbos in Hollywood. 1933 wurden seine Werke in Deutschland verboten. Als Regimegegner auch physisch gefährdet, flüchtete er ins Exil, wo er angesichts der deutschen Kriegserfolge den Freitod wählte.
 
In seiner jetzigen Form existiert der Walter-Hasenclever-Preis seit 1996. Bisherige Preisträger waren Peter Rühmkorf (1996), George Tabori (1998), Oskar Pastior (2000), Marlene Streeruwitz (2002), F. C. Delius (2004), Herta Müller (2006), Christoph Hein (2008), Ralf Rothmann (2010), Michael Lentz (2012), Michael Köhlmeier (2014) sowie Jenny Erpenbeck (2016). Der Preis wird getragen von der Walter-Hasenclever-Gesellschaft, dem Einhard-Gymnasium - der ehemaligen Schule Hasenclevers -, dem Aachener Buchhandel und der Stadt Aachen. Dem Kuratorium gehört auch ein Vertreter des Deutschen Literaturarchivs in Marbach an, das den Nachlass Hasenclevers pflegt und sich als Hauptträger am Preis beteiligt. Der Preis ist mit 20 000 Euro dotiert.