Seh-Reise (46)

Sechsundvierzigste Ausfahrt: Ilja Repin

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (46)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
46. Ausfahrt: Ilja Repin
 

Wär‘ doch gelacht!
 
Lachen steckt an – diese nicht eben umwerfende Erkenntnis habe ich während der Woche an diesem Bild wieder einmal als unwiderlegbar erfahren. Was soll man denn auch tun? Sich wehren dagegen, das Lachen verbeißen? Was wäre gewonnen, wem gedient? Also mutig nachgeben dem simplen Reflex und mit gelacht. Und sei’s bloß mit den Augen (ohne entblößtes Gebiß).
Weit reißen die Männer ihre Münder auf und lassen das Lachen herzhaft dem Körper entfahren, laut allemal, bis zum Brüllen. Auch sie stecken sich gegenseitig damit an, und wenn es in einem versiegen will, poltert der nächste los mit seinem kollernden Lachbass, oder ein fisteliges Bellen fährt dazwischen, und schon stimmt man wieder mit ein in den Chor, bis zur Atemlosigkeit will es kein Ende nehmen:
     Eine Gesellschaft von zwanzig gestandenen Männern, eng aufeinander gedrängt, in wilder Aufmachung, und keiner ähnelt dem anderen. Jeder ein besonderer Einzelner, von Gesichtsausdruck her wie von der abenteuerlichen Kleidung, und doch eine verschworene Gemeinschaft, zusammengeschweißt von mehr als dem Lachen. Die gehören zusammen, kein Zweifel, und die sind alle gleich, da ist kein Unten und Oben zu sehen: sie lachen aus einer Seele. Auch der Schreiber in ihrer Mitte, um den sie sich eng scharen, daß sie auch keinen Schnörkel seiner ihnen fremden Kunst verpassen, wie er ein weißes Papierblatt füllt mit dem Federkiel: er ist nicht der Kopf der Gruppe, er ist bloß ihre Hand. Er hält fest, was sie ihm zurufen. Sie diktieren ihm, er schreibt. Ein Brief von zwanzig Absendern. Wer mag der Adressat sein?


„Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan“ verrät das Bild in seinem Titel, das der russisch-ukrainische Maler Ilja Repin gemalt hat, 1880. Ein Historienbild, wie es damals in Europa in Mode war, über eine längst vergangene Geschichte. Bald zwei Jahrhunderte war es her, bevor Repin zum Pinsel griff, daß dieser Brief tatsächlich geschrieben wurde. Mittlerweile sind die übermütig lachenden Protagonisten des Bildes längst aus der Geschichte gefallen, aber ihre Legende lebt, und jeder Russe um 1880 wußte, was es mit diesem Brief auf sich hat. Das weiße Blatt hat sich sogar erhalten, Wort für Wort, wie es dem Schreiber da gerade zugerufen wird: „Du türkischer Sultan, Bruder und Genosse des verfluchten Teufels und leibhaftigen Luzifers Sekretär, du Babylonischer Küchenchef, du Alexandrinischer Ziegenmetzger, Erzsauhalter von Ägypten, du Armenisches Schwein, du Enkel des leibhaftigen Satans und Narr der ganzen Welt …“
     Immer tollere Schmähungen fallen ihnen ein für den Erzfeind in Istanbul, dahinten, jenseits des Dnepr, wohin der eine Lacher verächtlich zeigt, und werfen sie ihrem Schreiber zu, steigern sich aneinander in neue, frechere Beleidigungen hinein. Der soll sich ordentlich ärgern in seinem Eunuchenpalast am Bosporus, wenn er ihren Fetzen Papier in Händen hält! Der hatte aber auch Ungeheuerliches von ihnen gefordert. Sie, die „freien Krieger“, wie sie sich stolz selbst nennen (die Übersetzung von ‘Kosaken‘), die keine Herrschaft über sich dulden, hatte dieser Ziegenmetzger bis aufs Blut gereizt, als er es wagte, ihnen – ihnen! - die Unterwerfung unter sein Regiment abzufordern. Mit ihren flinken Schiffen waren sie oft genug im Hafen von Istanbul aufgetaucht und hatten im Herzen des osmanischen Imperiums Angst und Schrecken verbreitet, wenn ihnen danach war, auf Raubzug zu gehen. Das Kriegen war Lebenselixier, ja der tiefere Sinn ihres ganzen Daseins. Nur dafür lebten und starben sie. An einer Staatsgründung waren sie so wenig interessiert wie an Lesen und Schreiben. Am Rand der Zivilisation lebend, an der Grenze zur Steppe, in den Flußwäldern und Sümpfen am unteren Lauf von Dnepr und Don, „jenseits der Stromschnellen“ (das ist die Übersetzung von ‚saporosche‘), waren sie unangreifbar, für den Zaren in Moskau so gut wie für den türkischen Sultan.
     Als Ilja Repin sich 1880 daran machte, dieses legendäre Kriegervolk im Bild festzuhalten, waren sie längst von der „modernen Zeit“ aufgesaugt worden. Aber ihr Mythos wirkte nach, romantisch verklärt. Repin, selbst in der Ukraine geboren, reiste in ihr ehemaliges Herrschaftsgebiet und nahm zeichnend alles auf, was er von ihnen noch vorfand: Waffen, die Trachten, ihre Gesichter vor allem. Allen zwanzig Köpfen sieht man an, daß Repin ein großartiger, seinerzeit viel gefragter Porträtist in Rußland war. Er hat sich um ein authentisches Abbild dieses wilden Völkchens bemüht, Kopf für Kopf. Deshalb gibt es auch zahlreiche Vorstudien und Skizzen dieses Themas, unser Bild ist eine davon, von eher kleinem Format (70 x 90 cm), so wie ich es 2005 in der großen Repin-Ausstellung im Von der Heydt-Museum von Wuppertal gesehen habe. (Die beiden monumentalen Endfassungen hängen heute in St. Petersburg und im ukrainischen Charkiv/Charkow. Riesenschinken gehen nicht gern auf Reisen.)
Wie so oft ist es auch hier der erste spontane Aufriß einer bildnerischen Idee, mit dem einem Maler das beste geschenkt wird. Den zwei Gemälden gegenüber ist diese Vorstudie geschlossener und lebendiger. Das wesentlich schlankere Format hat den Maler zu einer stärkeren Konzentration der Gruppe um den Briefschreiber genötigt. Frisch steigt aus dieser verschworenen Kosakenbande das enorme Gelächter der Steppe und reißt einen Betrachter bezwingend mit hinein.
 
Ilja Repin, Die Saporoscher Kosaken schreiben einen Brief an den türkischen Sultan, Öl auf Leinwand, 70 x 90 cm, Studie, 1880
Tretjakow-Galerie, St. Petersburg
 
 
Redaktion: Frank Becker