Arbeitslicht!

„Ein Sommernachtstraum“ - Neu beleuchtet von Holk Freytag

von Frank Becker

Auftritt Tina Eberhardt als Titania, dahinter Tim Grobe, Kathrin Höhne, Franziska Becker - Foto © Klaus Lefebvre

 

Arbeitslicht!
Holk Freytag beleuchtet Shakespeares Klassiker neu
 
Schillertheater NRW Wuppertal: „Ein Sommernachtstraum“
 
Regie: Holk Freytag – Ausstattung: Wolf Münzner – Musikalische Einstudierung der Schauspieler: Otto Beatus
Besetzung: Tina Eberhardt (Hippolyta) - Jörg Reimers (Theseus) – Eike Gercken (Puck / Philostrat) – Hans Richter / Adalbert Stamborski (Egeus) – Martin Bringmann (Lysander) – Tim Grobe (Demetrius) – Kathrin Höhne (Hermia) – Franziska Becker (Helena) – Siegfried W. Maschek (Squenz) – Eric van der Zwaag (Schnock) – Thomas Schrimm (Zettel) – Pascal Lalo (Flaut/Thisbe) – Hans Matthias Fuchs (Schnauz / Wand) – Gerhard Palder (Schlucker / Mond)
Elfen: Martina Reichert, Judy Berry, Regine Hermann, Claudia Visca, Beatrix Bardy, Anke Sieloff, Veronika Waldner, Ilknur Bahadir, Sebastian Hartlieb
Musik: Sinfonieorchester Wuppertal, Leitung: Stefan Klieme - Opernchor
Jazz-Trio: Wolfgang Schmidtke (ts, bcl) – Jan Kazda (e-bass) – Peter Weiss (dr)
 
Shakespeares Neigung, seine höfischen Komödien in numinosen Staaten und finsteren Wäldern anzusiedeln, die Verhältnisse besonders in der Liebe bis zur Unerträglichkeit zu verwirren und sie dann ebenso aberwitzig aufzulösen, läßt allerlei Befürchtungen zu. Es hat bei aller Beliebtheit des Stückes schon Sommernachtsalpträume gegeben. Die Geschichte gibt ja auch mit ihren drei Handlungsebenen - der Welt des Athener Adels, der seiner Handwerkerschaft und der geheimnisvollen verzauberten Traumwelt der Elfen des Waldes - die sich erst beiläufig streifen und schließlich handlungsentscheidend verweben, Boden und Möglichkeiten genug, danebenzutappen.
     Holk Freytag hat eine weitere, meist vernachlässigte künstlerische Ebene hinzugefügt, die von Mendelssohn zum Sommernachtstraum komponierte Musik. Dazu versicherte er sich der bewährten Mitarbeit des Sinfonieorchesters Wuppertal unter seinem Dirigenten Stefan Klieme. Im Gesamtkonzept der Schlegelschen Übersetzung und der Bühnenmusik entdeckte Lücken schloß Freytag mit Textstellen von Arno Schmidt und einem Jazz-Trio, das unter Wolfgang Schmidtke dessen dafür eigens komponierte Musik einfügte, als wäre es der Plan seit jeher gewesen und nur bislang vergessen worden.
     Die Aufführung beginnt auf halbdunkler, unfertiger Bühne, die in geschäftigem Hin und Her von den Handwerkern, hier als Bühnenarbeiter hergerichtet wird - ein stimmiges Sextett, das schon hier und später im Wald und beim Theater auf dem Theater seine komödiantischen Fähigkeiten zeigt. Allen voran Siegfried W. Maschek als Peter Squenz, eine wunderschöne Verkörperung des aufrecht-schlichten Charakters mit Pfiff, Gerhard Palder in liebenswerter Sprödigkeit und Akkuratesse als Schlucker und erstmals Thomas Schrimm mit glänzendem, reich honoriertem Einstand als Zettel. Kompliment an Hans Matthias Fuchs - war das nun ein Schauspieler oder ein wirklich in die Handlung gerutschter Bühnentechniker?
     Schließlich präsentiert sich das von Wolf Münzner erdachte Bühnenbild: auf der Hinterbühne verschmilzt das Sinfonieorchester auf ansteigender Tribüne in Dunkelheit, erleuchtet nur punktuell von den Notenpultlämpchen mit dem die Bühne überwölbenden nächtlichen Sternenhimmel. Die Vorderbühne bleibt leer, mehr noch, durch eine Gitter- und Gully-Konstruktion über fast die ganze Fläche durchlässig, nach unten offen. Von unten nämlich kommen u.a. die Auftritte der Elfenwelt, vor allem aber die raffinierte Beleuchtung, entworfen von Münzner und ausgeführt von Wolfgang Lauber und Wolfgang Buhl, die Szenenwechsel, Zeitlauf und Stimmung vermittelt. 
     Was nun beginnt ist eine betörende Folge traumschöner Szenen und Bilder, musikalisch und gesanglich (Claudia Visca, Veronika Waldner) kongenial unterstützt und verbunden - im Handlungsstrang gerafft ein Sommernachtstraum par excellence. Die Darsteller geben nach Freytage Plan den Figuren angenehme neue Konturen: Tina Eberhardt als elegante Hippolyta und hinreißende Titania in Münzners atemberaubenden Kostümen hat sich erneut als aufsteigender Stern von eigener Klasse bewiesen. Jörg Reimers, besser als je, gab einen brummigen, liebenswert-intriganten Oberon mit Blume am weichen Hut, der Mühe hat, seinen schrägen Plan mit Hilfe des etwas schusseligen Puck, der so gern ein Teufel sein will (sehr gut Eike Gercken) umzusetzen. Der Puck Hans Richters von 1983 bleibt dennoch unerreicht. Tim Grobe ist überzeugend der absolut nicht in Helena verliebte Salonlöwe Demetrius, obwohl man das bei dem Liebreiz der temperamentvollen Schönen (Franziska Becker) wahrlich nicht verstehen kann, und er schafft es, das ohne Sympathieverlust zu vermitteln. Martin Bringmann hingegen schmilzt geradezu ergreifend als Lysander für Hermia (Kathrin Höhne), die sich in ebenbürtiger Rivalität mit Helena mißt. Alle vier Liebesleute mit hervorragender Leistung durch sämtliche Wirren bis hin zum glücklichen Ende.
     Unter der Stabführung Stefan Kliemes vollbringt das Sinfonieorchester Wuppertal eine fabelhafte Leistung, spielt sich mit dem Jazz-Trio (Wolfgang Schmidtke, ts, bcl - Jan Kazda, b - Peter Weiss, dr) in elegantem Wechselspiel und in hundertprozentiger Harmonie den Ball zu und schafft im Gleichmaß mit Münzners Licht- und Freytags Gesamtregie sowie seinem Besetzungsgeschick ein Werk absoluter unaufdringlicher Ausgewogenheit.
 
     Das Trio Freytag, Münzner, Klieme kann nach Brechts „Die Maßnahme“ eine zweite wegweisende Produktion auf sein Erfolgskonto schreiben. Die Wirkung des Freytagschen „Sommernachtstraum“ ließ sich denn auch an den Ovationen des beglückten Premierenpublikums messen, das der Leistung aller den gehörigen hohen Tribut zollte, Stefan Klieme jedoch quasi als Triumphator jubelnd auf die Schultern nahm und damit die entrückende Interpretation der Mendelssohnschen Musik würdigte. In einem verzauberten Reigen von Sprache und Darstellung, von Licht, Farbe, Musik, Klang und Poesie entstand ein ästhetisches Kunststück, das den Aufwand rechtfertigte, und hätte man es nur ein einziges Mal aufgeführt. Keine Sorge: im November wird „Ein Sommernachtstraum“ wieder zu sehen sein.
 
Frank Becker
3.10.1998