Beeindruckend

„Aufbruch zum Mond“ von Damien Chazelle

von Renate Wagner

Aufbruch zum Mond
(First Man – USA 2018)

Regie: Damien Chazelle
Mit: Ryan Gosling, Claire Foy u.a.
 
Ein scheinbar ganz normaler Mann, ein typischer „guter Amerikaner“. Er hat nur keinen ganz normalen Beruf. Neil Armstrong arbeitete für die NASA. Aber was ihn lange Zeit wirklich bewegte, war die Krebskrankheit seiner zweijährigen Tochter. Wir erleben die Familientragödie, als die Kleine stirbt, gleich zu Beginn. Mit stillem In-sich-hinein-Leiden. Auch das US-Kino lernt. Man will keine allzu triefenden Heldengeschichten.
 
Aber natürlich war Neil Armstrong (1930-2012), der erste Mensch, der den Fuß auf den Mond setzte, etwas Besonderes. Sehr sogar. Aber Regisseur Damien Chazelle hat sich entschlossen, die Geschichte ohne überhitztes Pathos zu erzählen. Vielleicht ist sie deshalb etwas trocken ausgefallen. Dafür hat man das Gefühl, wirklich hinter die Kulissen zu blicken.
Damals, zurück in die sechziger Jahre, als der Kalte Krieg auf vielen Ebenen ausgefochten wurde, u.a. im Kampf um den Weltraum. Es war ein wissenschaftliches und ideologisches Wettrennen, das die USA und die UdSSR einander damals lieferten. Bei den Plänen, Menschen ins All zu schicken, brauchte die NASA keine enthusiastischen Hitzköpfe, sondern ruhige Männer wie Armstrong, der gleichermaßen Testpilot wie auch Ingenieur war. Er übersiedelt mit Familie – eine vernünftige Gattin und zwei lebhafte kleine Söhne – nach Houston, um dort die nötige Arbeit in einer Art Astronauten-Camp zu tun. Der Film umfaßt die Jahre von 1961 bis 1969, als man das Ziel erreichte. Man erlebt Armstrong mit seinen Vorgesetzten, mit seinen Kollegen (von denen drei bei der Challenger-Katastrophe in ihrer Kapsel verbrennen), rechnend am Schreibtisch und unter Druck in simulierten Situationen. Als Zuseher fühlt man sich mit den Astronauten eingesperrt in ihren Anzügen, unter ihren Helmen, in ihren Kapseln gefangen… Und der Film vergißt nicht auf die vielen Toten, die am Weg liegen, Opfer der nötigen Test-Experimente.
 
Man spürt, daß der Film die Ereignisse einer realen Biographie folgt (James R. Hansen hat sie über Neil Armstrong geschrieben), die sich gewissermaßen logisch Schritt für Schritt auf die finale Apollo 11 Mission zubewegt. Ja, und dann ist es so weit, dann landete Armstrong mit zwei Kollegen (Buzz Aldrin [Corey Stoll] und Michael Collins [Lukas Haas] – die Geschichte war nicht gerecht zu ihnen, hat sie hinter ihrem Kommandanten vergessen) am 21. Juli 1969 auf dem Mond. Der bekannte kleine Schritt, der ein großer Schritt war… Unternommen nicht von Superman, sondern von einem ganz normalen Menschen mit Intellekt und Charakter. Und als Kinobesucher macht man diese Schritte auf dem Mond – wenn es plötzlich ganz unfaßlich still wird – mit. Ein ganz seltsames Gefühl.
 
Der Mangel an Aufgeregtheit, an Äußerlichkeit, den Ryan Gosling als Neil Armstrong vermittelt, ist so sympathisch wie glaubwürdig. Man erlebt ihn mit Gattin Janet, die so vernünftig ist, wie eine Frau nur sein muß, deren Mann sich auf eine Reise begibt, von der er wahrscheinlich nicht zurückkehren wird. Als er sich von seinen Söhnen verabschiedet, sähe die Gattin gerne mehr Emotion, aber der ruhige Mann macht kein Theater. Weiß nicht, wie er sich nach Klischee verhalten soll. Das ist beeindruckend.
Wenn dann während des Mondflugs die Situation der Raumfahrer durchaus nicht immer klar ist, läßt Janet Armstrong sich nicht abweisen, verlangt alle Informationen, die man von der Öffentlich fernhält: Claire Foy macht das fabelhaft, auch bei ihr ist – wie bei ihrem Mann – nur innere Stärke, nie das tremolierende Getue, dem man im Kino so oft ausgesetzt ist.
Durchaus farbig geraten die vielen Kollegen, die sich – als Piloten oder Entscheidungsträger – in dem Geschehen zusammen finden, aber letztenendes wird keiner dominierend. Der Film handelt von Armstrong, und der Enddreißiger Ryan Gosling beweist wieder einmal, daß er zu Hollywoods kostbarsten Assen zählt, wenn es um Qualität geht.
Kaum zu glauben übrigens, daß Regisseur Chazelle auch den beschwingten La La Land-Kitsch (auch mit Gosling übrigens) inszeniert hat. Im Vergleich dazu wirkt „Aufbruch zum Mond“ wie eine Dokumentation. In mancher Hinsicht ist der Film das wohl auch.
 
 
Renate Wagner