Glas - "Reine Formsache"

Die Sammlung Birgit + Dieter Schaich in einem prachtvollen Bildband

von Frank Becker

Reine Formsache

Die Sammlung Birgit + Dieter Schaich

Ein prachtvolles Standardwerk über deutsches Formglas des 15. bis 19. Jahrhunderts

 

"Glas, eine durch Schmelzen erzeugte, bei hoher Temperatur dickflüssige, beim Erkalten allmählich aus dem zähflüssigen in den starren Zustand übergehende, vollständig amorphe Masse, die gewöhnlich aus Verbindungen der Kieselsäure mit zwei Basen besteht und im Wasser unlöslich ist."
(Meyers Konversationslexikon, 1905)

Glas schmückt und dient

Der Zeitpunkt seiner Erfindung liegt im Dunkeln, doch kann durchaus vermutet werden, daß Glas seit mehr als 5000 Jahren hergestellt wird. Vielleicht zuerst als Schmuck und Dekoration, später als Material für Trink- und Aufbewahrungsgefäße, dann als Spiegel, schließlich als Fenster und hygienisch idealer Grundstoff in der Medizin und Industrie ist Glas aus beinahe allen Bereichen des täglichen Lebens nicht mehr wegzudenken. Glas hilft uns in Form von Brillen, Okularen und Linsen sehen. Auch die Kunst nahm sich sehr bald dieses mysteriösen, wundersamen Stoffs an - Glaskunst von hoher Ästhetik wird gesammelt, in Museen gezeigt, und in Form vieler kostbarer Kunstgegenstände zu


Flasche >alpenländisch<
17.-18. Jahrhundert
hohen Preisen gehandelt. Auch Gegenstand der darstellenden Kunst ist Glas geworden, wie z.B. eine aktuelle Ausstellung im Düsseldorfer Museum Kunstpalast bis zum 31. August zeigt.

Glas wird in aufwendigen Verfahren geblasen, gezogen, geformt  - es ist widerstandsfähig und zerbrechlich, kann allein von den Schwingungen einer Stimme zum Zerspringen gebracht werden, in anderer Form aber Projektile von Schußwaffen aufhalten. Glas ist in seinem Endzustand starr und hart, doch konnte bei Messungen an alten Kirchenfenstern festgestellt werden, daß es nahezu unmerklich weiter fließt  - die unten liegenden Partien der Scheiben wiesen eine meßbar höhere Stärke auf als die oberen. Das aber nur am Rande. Glas erlaubt einen Blick durch Mauern, es verbirgt und schützt aber hinter Einfärbungen auch Inhalte. Es schmückt und dient.

Für Sammler und Fachleute

Glas fasziniert. Ein Beispiel dafür ist die Sammlung Birgit + Dieter Schaich, deren Bestand jetzt in einem opulenten Bildband von Dieter Schaich und Erwin Baumgartner, erschienen im Deutschen


Heilig-Grab-Kugel, Bayerischer Wald,
18. Jahrhundert
Kunstverlag, zugänglich gemacht wurde. Es ist, wie man landläufig sagt, ein Buch, in dem man sich festlesen und verlieren kann, ein Hochgenuß für den Betrachter gleichermaßen wie ein zukünftiges Referenzwerk zum Thema Formglas für Sammler, Museen und Kulturhistoriker. Was bekommen wir also mit diesem umfangreichen, großformatigen Werk, auf feinstem Kunstdruckpapier in brillanten Farben mit hervorragenden Fotografien wiedergegeben? Es vermittelt dem Laien wie dem Fachmann einen Eindruck des erstaunlichen Ideenreichtums, der Vielfältigkeit und des Zeitgeschmacks in der Gestaltung von Formglas.
Diese Art der kunstvollen Glasherstellung vereint Zweckmäßigkeit und Ästhetik von Form und Dekor und steht, so Erwin Baumgartner in de einleitenden Worten zum Buch, am Anfang der etwa 2000- jährigen Geschichte des mundgeblasenen Hohlglases. Sorgfältig recherchiert und mit einem außergewöhnlich umfangreichen Literaturverzeichnis ausgestattet, ermöglicht das Buch eine mit weit über 500 farbigen Abbildungen illustrierte Reise in die Geschichte der Herstellung von Gläsern, Flaschen, Krügen, Vasen, Humpen, Kannen, Lampen, Hafen, Schusterkugeln, Römern, Bechern, Mörsern, Bocksbeuteln etc. aus 500 Jahren.

Lust der Augen und seriöse Recherche

Exzellent beschrieben bekommt jede bildliche Darstellung ihre Geschichte. Herstellungsverfahren und


Kanne - Deutschland 18. Jahrhundert
Verwendungszwecke werden akkurat erläutert, Hohlmaße erklärt und sogar die Charakteristik der unterschiedlichen Flaschenböden in einem Exkurs gestreift. Nachahmungen, Fälschungen und Kuriositäten gehört neben den wunderschönen Originalen ebenfalls ein Kapitel. Die Delikatesse einer böhmischen Rosenkugel aus dem 17. Jahrhundert, der deftige Charme eines bemalten Deckelkruges aus dem 16. Jahrhundert oder die erhabene Schlichtheit einer Tiroler Glockenseilbuchse des ausgehenden 19. Jahrhunderts fesseln den Betrachter.  Wenn ich den Band "Reine Formsache" oben als Referenz- und Standardwerk bezeichne, ist das durchaus nicht dem puren Vergnügen am Blättern geschuldet. Seine neben der Lust der Augen seriöse wissenschaftliche Form zeichnet es vor anderen Werken aus. Glassammler - man könnte sich angesichts der edlen Formen und Dekors glatt dafür erwärmen - werden an diesem Band nicht vorbei kommen. In Fachbibliotheken darf es künftig nicht fehlen.

Dieter Schaich/Erwin Baumgartner: "Reine Formsache", © 2007 Deutscher Kunstverlag München Berlin, 352 Seiten mit weit über 500 Foto-Illustrationen, Fadenheftung, Ganzleinen mit farbig illustriertem Schutzumschlag, 24,5 x 30,5 cm,  78,- €.

Weitere Informationen unter: www.deutscherkunstverlag.de