Die Frau an der Kasse mit der Zitrone

von Patrick Gurris

Foto © Andreas Morlok / pixelio.de
Die Frau an der Kasse
mit der Zitrone
 
Eine Frau an der Supermarktkasse mit 12 billigen Eiern, den billigsten von den billigen, und einer Zitrone. Sie war in schwarz, ganz in schwarz gekleidet, in Schlabberstoff, ich weiß nicht, wie das Zeug heißt, Nicki, und roch. Sie roch nach Rauch. An der Kasse, am Band, ging sie auf einmal und wartete neben der Schlange an der anderen Kasse. Ich dachte, sie wollte sich eine Papiertüte holen, die gibt es nur an der mittleren Kasse. Wir standen an der rechten. Aber sie holte sich einen kleinen Flachmann Vodka. Einen ganz kleinen, den kleinsten. Insgesamt hat sie für ihre Sachen weniger als fünf Euro bezahlt. Ich dachte mir noch, das ist aber billig. Und dann dachte ich mir, von dem kleinen Flachmann könnte ich niemals betrunken werden. Und ich dachte, braucht sie die Zitrone für den Vodka oder für die Eier oder für etwas ganz anderes? Aber eigentlich war ich traurig. Traurig, daß jemand so allein ist und sich Eier kauft, 12 Stück, und eine Zitrone und einen kleinen Plastik-Flachmann Vodka, von dem nicht einmal ein Küken betrunken werden könnte. Sie sah auch nicht besonders fröhlich aus, sondern verlebt, viel zu früh gealtert und nicht gerade gesund. Trotz Zitrone. Und ich dachte, hoffentlich endest Du nicht einmal hier. Mit Deiner Faulheit und Deiner Prokrastination, dieser dämlichen. Wieso bist Du so? Ich hoffe, die Frau tat mir nicht nur leid, weil ich mich in ihr sah. Weil ich Angst habe. Angst, daß ich genauso bin, wie die Frau mit der Zitrone.
 
 
© Patrick Gurris