The Great Pretender

John Osbornes „Blick zurück im Zorn” à jour gebracht

von Frank Becker

v.l.: Martin Petschan, Lena Vogt, Julis Reznik, Alexander Peiler - Foto © Uwe Schinkel

The Great Pretender
 
Mirjam Loibl gibt dem spezifisch englischen Stück der zornigen
jungen Generation von 1956 eine allgemeingültige, zeitlose Fassung
 
Regie: Mirjam Loibl – Bühne und Kostüme: Thilo Ullrich – Musik: Constantin John – Dramaturgie: Barbara Noth – Regieassistenz: Jonas Willardt
Besetzung: Jimmy Porter (Alexander Peiler) – Cliff Lewis (Martin Petschan) – Alison Porter (Lena Vogt) – Helena Charles (Julis Reznik) – Colonel Redfern (Stefan Walz)
 
Kennen Sie noch John Osborne?
 
Kennen Sie eigentlich noch John Osborne? 1997 wurde zum letzten Mal im Wuppertaler Schauspiel ein Osborne-Stück gezeigt, es war „Der Entertainer“ mit Hans-Christian Seeger in der Hauptrolle und als Regisseur.
Nun also 21 Jahre später das berühmtere Stück Osbornes, dessen Titel „Blick zurück im Zorn“ längst als geflügeltes Wort topisch geworden ist, wenngleich auch kaum noch jemand weiß, worum es darin geht. Osborne schrieb es 1956, damals selbst erst 27 Jahre alt, als Aufschrei, als Fanal der Perspektivlosigkeit der Nachkriegsgeneration. Der Inhalt des Monolog-lastigen Dramas ist schnell umrissen: Jimmy Porter (Alexander Peiler) ein erfolgloser Hochschulabsolvent aus der Arbeiterklasse, jung verheiratet mit Alison (Lena Vogt), Tochter eines Obersten aus dem

Lena Vogt, Alexander Peiler, (hinten Martin Petschan) - Foto © U. Schinkel
gehobenen Mittelstand, lebt perspektivlos, bescheiden und unzufrieden von einem Süßwaren-Kiosk, den er von einer gutherzigen alten Dame übernehmen konnte. In wütenden Tiraden schreit er seinen Zorn über das Leben, die angepaßte Presse, die Achtlosigkeit der Gesellschaft und das Establishment im Allgemeinen heraus. Die Liebe zwischen beiden ist bereits abhanden gekommen. Als letzter Mittler fungiert der Freund Cliff (Martin Petschan), bevor die Ehe zerbricht und die schwangere Alison zu ihren Eltern zurück geht. Die treibende Kraft dahinter ist die Freundin Helena (Julia Reznik), die auch Alisons Vater (Stefan Walz) dazu bringt, seiner Tochter die Hand zu reichen und sie zurückzuholen.
Helena wirft sich dem entwurzelten Jimmy an den Hals, Cliff verzweifelt (ein bißchen weniger Aktion in seinem fast grotesken Wutanfall hätte es durchaus auch getan), Alison verliert das Kind und kehrt desillusioniert und gebrochen zu Jimmy zurück.
 
Experiment geglückt
 
Mijam Loibl hat das Wagnis unternommen, Osborne neu zu interpretieren. Obwohl - nötig ist das nur bei der äußeren Form, denn inhaltlich ist die Situation vieler junger Menschen heute weder in England noch hier oder sonstwo besser. Der verständliche Zorn von heute entspricht durchaus dem von gestern. Den von Osborne auf die Situation 1956 gezielten zeitgemäßen Dreiakter hat Loibl mit Barbara Noth auf 75 Minuten in einem Durchlauf stark gekürzt, ihm den unmittelbaren Zeitbezug genommen und damit eine allgemeine Gültigkeit gegeben. Um die Unaufhaltsamkeit von Zeit und Schicksalen, die jeweilige Bedeutung der Figuren im Moment und gegenüber den anderen zu verdeutlichen, hat Thilo Ullrich einen permanent rotierenden Laufsteg auf die Mitte der Drehbühne montiert, einem liegenden Hamsterrad gleich, der immer wieder als Hindernis überwunden werden muß, in Augenblicken explosiven Widerstand aber auch gegen die Drehrichtung geschoben werden kann, ansonsten aber das Leben und seine Eintönigkeit bestimmt.
Nach etwas blutleerem Beginn, anfangs zerschrienen Monologen Jimmys und nachdem man sich an die Rotation der Welt, der Zeit und der Schicksale gewöhnt hat, beginnt diese Unaufhaltsamkeit zu wirken. Man hört den Aussagen immer aufmerksamer zu, fühlt stärker und stärker mit und macht sich die Gefühle aller Beteiligten zu eigen. Da ist die ziellose Aggression Jimmys, dem Alexander Peiler, der das Arbeitermilieu kennt, kraftvoll Gestalt gibt, läßt die zerbrechliche Alison, von Lena Vogt anrührend gestaltet, mitleiden, gibt Martin Petschan einen gefühlvollen Cliff, der es nicht schafft, das Gute zu halten und zeigt Julia Reznik die vermeintliche Helferin, die ihr Opfer bereits im Auge hat. Thilo Ullrich hat jede der Figuren mit Garderoben ausgestattet, die fast punktgenau die Charaktere illustrieren. Der Arbeitersohn hat die Ärmel des bürgerlichen weißen Hemdes (auf den Probenfotos trägt er ein kariertes Hemd) hoch aufgekrempelt, die Tochter aus gutem Hause zeigt noch die verblassende Eleganz ihrer teuren Garderobe (die Jacke mit dem Stinkefinger ist allerdings ein krasser Fehlgriff), der gute Freund kommt salopp und unangepaßt (hier sind wir dann doch wieder im Jahr 1956) als James Dean-Verschnitt, und die falsche Freundin decouvriert sich durch ihre schrille Seidenbluse.


Julis Reznik, Alexander Peiler - Foto © Uwe Schinkel

Glanzlichter
 
Eine kleine Rolle hat einzig Stefan Walz als Colonel Redfern, der im gedeckten braunen Anzug kraftvoll und bestimmend gehobene Bürgerlichkeit transportiert. Ihm hat man a cappella als Botschaft an Jimmy den einzigen und thematischen Song des Stücks geben, das ansonsten nur mit Klangfetzen und Loops unterlegt ist: „The Gret Pretender“ den US-Hit der Platters aus dem Jahr 1955, der im März 1956 in Jimmy Parkinsons Cover-Version in die britischen Top Ten einzog und im September 1956 vom Original abgelöst wurde. Die erste Zäsur nach 45 Minuten. Und Walz macht daraus ein Glanzlicht dieses Kammerspiels.
Eine zweite Zäsur erfährt die Inszenierung nach 60 Minuten, als für fünf Minuten das Karussell stehenbleibt, man durchatmen möchte – aber dann dreht es sich weiter.
 
Ein weiteres Glanzlicht ist der Wandel Alisons durch die Kunst Lena Vogts. Wie sie nach ihrer Flucht und dem Verlust des Babys als gebrochene junge Frau zurückkehrt, allein durch die Sprache von Körper und Gesicht redend, ist tief beeindruckend und bewegend.
Es ist schwere Kost – soll es auch sein. Ein Theaterabend, den man mitnimmt.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de