Menschen, die beim Gehen essen

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Menschen, die beim Gehen essen

Menschen, die beim Gehen essen, sollten ihren Kaurhythmus ihrem Gehrhythmus unterordnen, damit die Verdauung folgen kann.

Schritt, Schritt, Biss
Schritt, Schritt, Biss
Schritt, Schritt, Biss
Verdauen!

Schritt, Schritt, Biss
Schritt, Schritt, Biss
Schritt, Schritt, Biss
Verdauen!

Menschen, die beim Gehen essen, sollten feste Speisen flüssigen vorziehen. Suppe zum Beispiel. Suppe essen beim Gehen ist nie ganz unproblematisch. Selbst das Tragen eines Regencapes schützt nur teilweise und sieht nicht gut aus.
   Die Suppe ist ein Tischgericht und wird von Jugendlichen bevorzugt, die sie später auf Straßen und Plätzen wieder ausspucken.
   Es ist ungerecht, daß man etwas, zu dem man keine Zähne braucht, nur mit ruhiger Hand essen kann. Natürlich könnten wir die Suppe zu Eiswürfeln formen, die beim Gehen im Munde zergehen, aber was soll das?

   Ich kannte einen Mann, der aß beim Gehen einen Pfirsich und mußte dabei gleichzeitig rückwärts und vorwärts gehen. Rückwärts, um dem austretenden Pfirsichsaft zu entgehen, und vorwärts, um trotzdem seine Termine wahren zu können. Das ist in etwa so, als wenn man seine Schwiegermutter zum Dableiben auffordert und sie dabei schon gleichzeitig an die Haustür bringt.

Bananen essen sich beim Gehen wie von selbst, da man quasi in sie hineinläuft.

Ich kenne einen Friseur, der schneidet einem beim Gehen die Haare, go and cut. Leider sind seine Ergebnisse nicht zufriedenstellend und seine Laufkundschaft kein guter Werbeträger. Ich zum Beispiel.

Ich zum Beispiel gehe beim Gehen gern auf der Stelle, weil ich nie weiß, wohin ich gehen soll. Wenn der Weg das Ziel ist, dann ist das Gehen auf der Stelle das höchst erreichbare Ziel: Man geht nirgendwohin und kommt dort niemals an.
   Leider hat das Gehen auf der Stelle einen großen Nachteil. Man kommt nicht so weit herum, aber manchmal auf gute Ideen: Jugendliche spucken auf den Boden, wie Hänsel und Gretel, die ihre Duftmarken hinterlassen, weil sie Angst haben, sich in der großen Welt zu verirren und wieder den Weg nach zuhause finden wollen. Deswegen sieht man auch so viele Spuckflecken an Bushaltestellen.
 
 
© Erwin Grosche - Aus: Lob der Provinz