Zwei Deutsche an der Spitze der Tenniswelt

Aus: „Erster sein“

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Zwei Deutsche an der Spitze der Tenniswelt

Von Ernst Peter Fischer
 
Wenn hierzulande das Wort Tennis fällt, denken viele Menschen unmittelbar an die 1980er-Jahre, als es zwei Deutsche geschafft haben, führende Rollen in dem Sport zu spielen, in dem sie vorher mehr Zuschauer als Gewinner stellten. Gemeint sind die 1969 in Mannheim geborene Stefanie (Steffi) Graf und der 1967 in Leimen bei Heidelberg geborene Boris Becker, der die Tenniswelt rockte, als er 1985 im Alter von 17 Jahren das Turnier in Wimbledon gewann. Hätte Becker damals eines der großen Turniere - die Experten sprechen von vier Grand Slam Turnieren - gewonnen, die neben London in Paris, New York oder Melbourne ausgetragen werden, hätten die Deutschen auch fanatisch gejubelt. Aber ausgerechnet in Wimbledon, das zu den heiligen Stätten des nach wie vor als vornehm eingestuften Sports für Gentlemen und Ladys zählte und vielen als Mekka des Tennis galt, den ersten großen Sieg feiern zu können, das löste in der alten Bundesrepublik eine Becker-Besessenheit aus, die ein Jahr später durch die Decke ging, als das neue Idol des Landes 1986 bei der Jubiläumsausgabe Nummer 100 in Wimbledon seinen Triumph wiederholen konnte. Da zudem in den gleichen Jahren mit Steffi Graf auch ein weiblicher Superstar die Bühne des Tennis betreten hatte und zu beherrschen schien, gab sich ganz Deutschland einem steigenden Tennisfieber hin. Steffi Graf schaffte dann 1988 noch etwas ganz Besonderes, als sie neben den vier Grand Slam Tournieren auch noch bei den Olympischen Spielen in Seoul gewann und damit das erreichte, was man den Golden Slam nannte und was bislang niemandem zu wiederholen gelungen ist.
     Steffi Graf hat als Dreijährige in ihrer damaligen Heimatgemeinde Brühl von ihrem Vater einen Tennisschläger in die Hand bekommen und mit ihm nur zwei Jahre später ein sogenanntes Jüngsten-Turnier gewonnen, das in München abgehalten wurde. Als die Siebenjährige weitere Turniere siegreich absolvierte, gab der Vater seinen Beruf als Gebrauchtwarenhändler auf, um sich ganz der Entwicklung seiner Tochter zu widmen, was sich zwar extrem gelohnt hat, was ihn aber auch im Laufe der kommenden Erfolge und der fließenden Geldbeträge erst mit den Steuerbehörden in Schwierigkeiten und dann in den 1990er-Jahren ins Gefängnis brachte. Zu diesem Zeitpunkt konnte Tochter Steffi kaum noch zählen, wie Viele Grand Slam Turniere sie gewonnen und wie lange sie schon den ersten Platz in der Tennisweltrangliste eingenommen hatte. 1999 trat sie vom Wettkampfsport zurück, um sich seitdem im Hintergrund zu halten. 2001 heiratete sie den amerikanischen Tennisspieler (und Wimbledon-Sieger) André Agassi, dem sie zwei Kinder schenkte. Die Familie lebt offenbar glücklich in Las Vegas, ohne weiter im Rampenlicht zu stehen, und die ganze Lebensgeschichte klingt wie ein Märchen, von dem man wünscht, daß es noch lange so weitergeht.
     Boris Becker ist leider ein anderes Kaliber und offenbar mit vielen Skandalen und Krankheiten beschäftigt, wobei es eine Sache ist, als 17-Jähriger in Wimbledon zu gewinnen, und eine andere, mit dem sich anschließenden explosiven Ruhm und den erstaunlichen Millionensummen umgehen zu können, die nun auf ihn einprasselten. Die Firma Mercedes machte ihn zum Markenbotschafter, verschaffte ihm drei Autohäuser und sicher noch manches mehr. Die Deutsche Bank und deren heute als verlogen bekannte Manager boten Becker ebenfalls Millionenbeträge an, um mit seinem Konterfei und dummen Sprüchen über Leitung zu werben, die sich lohnen muß. Andere Firmen versuchten, auf andere Weise mit
seinem Namen zu punkten, und man wundert sich, daß der junge Becker trotz allem noch weiter gutes und erfolgreiches Tennis spielen konnte.
 Wie fast vorherzusehen war, kam er irgendwann mit den Steuerbehörden in Konflikt, und er wurde 2002 auch zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
     Anders als Steffi Graf, die sich wenig in der Öffentlichkeit zeigt, kann man Beckers Gesicht in den Medien kaum ausweichen. Man blickt in aufgequollene Züge, die als Folge eines Medikaments beschrieben werden, die sein geschundener Körper braucht, in dem zum Beispiel zwei künstliche Hüften ihren Dienst tun. Doch immer noch können die Medien punkten und Auflage machen, wenn sie Boris Becker in seinem Glück oder Unglück zeigen, wobei man besser nicht hinhört, was er in seiner dümmlich wirkenden Art zu sagen hat, außer er gibt Ratschläge fiir andere Tennisspieler, die er seinem Erfahrungsschatz entnehmen kann. Wie Steffi Graf hat er sich 1999 aus dem Profisport zurückgezogen, und seitdem wartet die deutsche Öffentlichkeit voller Sehnsucht auf jemanden, der an seine Stelle tritt.
     Selten hat jemand wie er gerade in den entscheidenden Situationen nicht nur die Nerven behalten, sondern sich geradezu durch knappe Spielstände in großen Turnieren herausgefordert gefühlt und seinen Körper unter diesen Umständen zu Höchstleistungen geführt. Er war süchtig nach Siegen, und die Menschen zeigten sich begeistert, wenn ihm der entscheidende Passierschlag oder Volley gelang und er nach einem Becker-Hecht seine Becker-Faust ballen konnte. Er spielte emotional und riss die Zuschauer von den Sitzen. Mehr kann man in seinem bequemen Sessel vor den Fernsehgeräten nicht verlangen.
 
 
© Ernst Peter Fischer
Aus: „Erster sein“ - Edition Zeitblende 2018