Menschenjagd im Schatten des Kreuzes

Arthur Millers „Hexenjagd“ in einer Inszenierung von Volkmar Kamm

von Daniel Diekhans

v.l.: Ines Reinhard, Hannah Prasse, Rebecca Selle - Foto © Dietrich Dettmann

Menschenjagd im Schatten des Kreuzes
 
Tourneetheater Landgraf gastiert mit „Hexenjagd“ in Remscheid
 
„Hexenjagd“ (The Crucible). Schauspiel von Arthur Miller in der Übersetzung von Hannelore Limpach und Dietrich Hilsdorf.
Mitarbeit: Alexander F. Hoffmann
 
Bühnenfassung und Inszenierung: Volkmar Kamm - Bühnenbild: Volkmar Kamm und Rolf Spahn - Kostüme: Marie Landgraf - Bühnenmusik: Alexander Kuchinka
 
Besetzung: Ralf Grobel (Samuel Parris, Pfarrer in Salem) - Rebecca Selle (Betty Parris, seine Tochter) - Hannah Prasse (Abigail Williams, seine Nichte) - Ines Reinhard (Tituba, Parris' Haussklavin) - Carsten Klemm (Thomas Putnam, Großgrundbesitzer/ Richter Danforth) - Wolfgang Seidenberg (John Proctor, ein Bauer) - Iris Boss (Elizabeth Proctor, seine Frau) - Sophie Schmidt (Mary Warren, Bedienstete der Proctors) - Alexander Kuchinka (Giles Corey, Bewohner von Salem/ John Willard, Gerichtsdiener) – Christian Meyer (John Hale, Pastor)
 
 
  Ensemble - Foto © Dietrich Dettmann

„Hexenjagd“-Inszenierung spart nicht mit politischen Anspielungen
 
Es ist das Kreuz, das Regisseur Volkmar Kamm bei Arthur Millers „Hexenjagd“ buchstäblich ins Zentrum rückt. Beim Gastspiel im Remscheider Teo Otto Theater stand es groß, breit und leuchtend auf der Bühne – und färbte sich im Laufe der Handlung blutrot. Ein treffendes Sinnbild für den religiösen Fundamentalismus, der über das Schicksal aller Bühnenfiguren entscheidet.
Gegen den übermächtigen Glauben wirkt das Treiben der pubertierenden Mädchen, mit dem das Drama beginnt, ziemlich harmlos. In bunte Tücher gehüllt, wirbeln Abigail und ihre Freundinnen über die Bühnenbretter. Doch für die Trance, in die sie sich hineintanzen, gibt es im amerikanischen Salem des 17. Jahrhunderts nur eine Erklärung: Teufelswerk.
„Alles Unsinn“, kommentiert der Farmer John Proctor und sieht damit klarer als der „Hexenexperte“ John Hale, den der überforderte Gemeindepfarrer um Hilfe bittet. Der aufklärerisch gesinnte Proctor unterschätzt jedoch völlig die Dynamik, die Abigail & Co. auslösen. Damit sie nicht selber als Hexen verurteilt werden, beschuldigen sie andere der Teufelsbuhlerei. Die Denunziationen greift der Richter Danforth begierig auf, und eine juristisch legitimierte Hexenjagd beginnt.
 
Bekanntlich reagierte Arthur Miller mit seinem 1953 uraufgeführten Theaterstück auf die Kommunistenhatz des Senators McCarthy. Auch in späteren Jahren sah der Autor „Hexenjagd“ als politischen Seismographen. Wenn sein Stück in einem Land zum „Hit“ werde, äußerte Miller einmal, sage das viel über dessen Situation. Je nachdem lasse sich das Stück dann als Warnung vor oder Erinnerung an eine Tyrannei verstehen. Im Programmheft zur „Hexenjagd“-Produktion der Konzertdirektion Landgraf wird diese Einschätzung weitergedacht und auf aktuelle Entwicklungen angewendet – besonders auf den demokratiefeindlichen Populismus eines Trump, Erdoğan oder Orbán.
Politische Anspielungen ziehen sich denn auch durch Volkmar Kamms Inszenierung. Noch bevor Proctors Freund Giles vor das Hexentribunal gezerrt wird, erinnert dessen gestreiftes Hemd an die Kleidung eines KZ-Häftlings. Die Anhänger der Kronzeugin Abigail schwenken schwarz-rot-goldene Plakate, als kämen sie frisch von einer Pegida-Demonstration.


Carsten Klemm, Hannah Prasse - Foto © Dietrich Dettmann

Volkmar Kamm hat Millers Text zugespitzt, indem er klug gekürzt und eine Reihe von Nebenfiguren komplett gestrichen hat. Das gibt dem zehnköpfigen Ensemble den Freiraum, agil, ausgreifend und mit expressiver Mimik zu spielen. Herausragend ist Wolfgang Seidenberg. Glaubwürdig verkörpert der Film- und Fernsehmime den (Anti-)Helden Proctor, bei dem kühler Verstand und aufbrausendes Temperament eine widersprüchliche Mischung ergeben.
Seidenberg findet in Hannah Prasse, die zum ersten Mal mit der Konzertdirektion Landgraf auf Tournee ist, die passende Gegenspielerin. Prasses Abigail ist ebenso charismatisch wie rücksichtslos – und die junge Schauspielerin überstrahlt damit ihre Mitspielerinnen Rebecca Selle und Ines Reinhard. In der Rolle von Abigails Freundin Mary durchläuft Sophie Schmidt eine aufregende Entwicklung. Die Mitläuferin wird nach und nach zur wichtigsten Verbündeten Proctors. Dem gesellschaftlichen Druck, der auf ihr lastet, kann sie sich aber am Ende nicht entziehen.
 
Ganz anders agiert Iris Boss als Proctors Ehefrau. Mag das Gericht auch mit Hinrichtung drohen – schon durch ihre Körpersprache macht Boss klar, daß Elizabeth Proctor standhalten wird. Aus Giles Corey macht Darsteller Alexander Kuchinka eine ausgesprochen komische Figur. Deren Tapsigkeit und Wankelmütigkeit läßt einen immer wieder schmunzeln. Darüber hinaus sorgt Kuchinka am Keyboard für anregende musikalische Akzente.
Wie Getriebene – und dementsprechend unsympathisch – wirken hingegen die Vertreter der weltlichen und religiösen Macht. Carsten Klemm glänzt erst als Fanatiker Putnam und dann als allzu ehrgeiziger Richter. Christian Meyer überzeugt als Hexenjäger, der seine Irrtümer viel zu spät erkennt. Ralf Grobel gibt den Pfarrer Parris als charakterschwachen Opportunisten.
Angesichts dieser Ensembleleistung ist es umso bedauerlicher, daß nur rund 70 Theaterbesucher die „Hexenjagd“ in Remscheid sehen wollten.


Iris Boss, Wolfgang Seidenberg - Foto © Dietrich Dettmann

Weitere Informationen:
 
Daniel Diekhans