Es ist, gar keine Frage, ein großer Film.

„Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck

von Renate Wagner

Werk ohne Autor
(Deutschland 2018)

Drehbuch und Regie: Florian Henckel von Donnersmarck
Mit: Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch, Ben Becker, Oliver Masucci, Saskia Rosendahl, Lars Eidinger u.a.

Dieser Film beginnt mit Kunst, endet mit Kunst und handelt von Kunst – am Beispiel eines Künstlers. Und dieser geht durch drei Etappen deutscher Geschichte, der Nazi-Zeit, der DDR-Zeit und der Bundesrepublik bis in die späten Fünfziger Jahre. Tatsächlich nur rund drei Jahrzehnte vom kleinen Jungen bis zum Künstler in seinen mittleren Jahren – aber randvoll von Geschichte.
Florian Henckel von Donnersmarck hat sich Zeit gelassen. Er war es, der mit „Das Leben der Anderen“ den großen Film über die DDR drehte und dafür 2006 den „Oscar“ für den besten ausländischen Film nach Deutschland holte. Seither hat er nur, als Hollywood-Produktion, „The Tourist“ gedreht, süffige und auch witzige Action-Unterhaltung mit Angelina Jolie, für die man allerdings keinen großen Regisseur gebraucht hätte. Für das „Werk ohne Titel“ (eine der wenigen Schwächen des Films ist der Titel, unter dem man sich so wenig vorstellen kann) schrieb er sein eigenes Drehbuch, philosophierte über Kunst und Poltik, ließ sich für seine Hauptfigur, wie es heißt, von der Biographie von Gerhard Richter inspirieren, und brachte sogar, ohne Namensnennung, aber als Figur unverkennbar, Joseph Beuys auf die Leinwand…
 
Drittes Reich, 1937, eine Ausstellung „Entarteter Kunst“ in Dresden, der Führer (Lars Eidinger in kopiertem Goebbels-Tonfall) doziert, wie wertlos die Bilder wären. Die junge Elisabeth (wunderbar: Saskia Rosendahl) kniet vor einem Kandinsky und flüstert ihrem sechsjährigen Neffen zu: „Mir gefällt’s.“ Was damals niemand sagen darf. Dieser Neffe ist der kleine Kurt, und von ihm handelt der ganze Film.
Die ganze Gnadenlosigkeit des NS-Regimes, die vor Euthanasie nicht zurückschreckte, zeigt Donnersmarck am Beispiel dieser Elisabeth: Heute hätte man jedes Verständnis für eine überdrehte junge Frau, eine hektische Künstlernatur – damals ist abweichendes Verhalten Grund genug, jemanden in die Psychiatrie zu stecken und auszulöschen. Und der Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken, hier das Todesurteil unterschreibt, ist Prof. Carl Seeband, Klinikchef, berühmter Gynökologe, ein großer Mann damals – und auch später.
Klein Kurt betrachtet die Welt um sich mit wissenden Augen, sieht auch (man ist aus Dresden vertrieben worden, weil der Lehrer-Vater kein Nazi war und folglich unerwünscht) aus der Entfernung die Bombardierung der Stadt und überlebt folglich: Die erste Phase der Geschichte ist zu Ende, sie ist die herzzerreißendste.
Das Pathos, das dem ganzen Film immanent ist, bleibt, aber es gehört gewissermaßen dazu, wobei die Tränendrüsen vor allem für Elisabeth in Gang gesetzt werden (und wieder am Schluß, wenn die Erinnerung an sie zwar billig wirken mag, aber dramaturgisch natürlich so vollkommen stimmt, daß man mindestens tief aufseufzt… wenn nicht mitweint).
Die zweite Phase der Geschichte, die DDR, packt Donnersmarck diesmal erstaunlicherweise nicht so hart an (dafür steht auch der Auftritt von Ben Becker als hemdsärmliger Arbeiter, der dennoch Verständnis für einen Künstler hat). Ja, fast läßt er dieses System, das sich sinnlos ideologisch selbst befriedigte und nichts wirklich zustande brachte, milde vorbei gehen.
 
Kurt ist jetzt schon Tom Schilling, der ungeachtet seines wahren Alters (tempus fugit, er ist auch schon Mitte 30) so unglaublich jung wirken kann, daß man ihm den jungen Kunststudenten glaubt, der viel zu gut ist für das, was die DDR ihm erlaubt (auch wenn er noch so begabt die strammen sozialistischen Wandgemälde pinselt). Hier geht es vor allem um seine Liebe zu Elli (die immer hinreißende Paula Beer) – und wie das Leben so spielt, ist sie Seebands Tochter. Wenn Kurt hier, um vom Vater nicht erwischt zu werden, nackt aus dem Fenster in die nächste Baumkrone springt, wird die Welt fast heiter… Schilling ist wunderbar, um ihn ist ein bißchen was vom reinen Toren, von der zutiefst anständigen Seele, diese Aura umstrahlt ihn regelrecht.
 
Nach der Flucht von Elli und Kurt in die Bundesrepublik geht er nicht nach München und nicht nach Berlin, sondern in die Moderne-Hochburg Düsseldorf – und da kann man sich dann nicht nur an Beuys, pardon, Professor Antonius van Verten (großartig: Oliver Masucci, den wir vom Burgtheater kennen) reiben, sondern auch an allem, was da von den „Modernen“ alles angeboten wird.
Kurt sucht auch noch lange nach einer eigenständigen Kunstsprache, bis er sie darin findet, alte Familienfotos, darunter von Elisabeth, zu „verfremden“ – Werke „ohne Autor“, die ihn aber dann (wie es in der Kunstwelt nun einmal so ist) berühmt machen.
Der Film erzählt aber nicht nur die Geschichte von Kurt, sondern auch von Seeband, dem Schwiegervater, der in unseren Augen ein Verbrecher ist – und in seinen eigenen nur ein Mann, der ohne die geringste Regung tut, was er will und was er kann. Sebastian Koch, der schon in „Das Leben der Anderen“ (damals allerdings als der Verfolgte) dabei war, kann hier mit eiskalter Selbstverständlichkeit den Klinikchef spielen, der später von einem russischen Kommandanten, dessen Tochter er das Leben rettet, in seiner hohen Stellung behalten wird (obwohl er wie alle Nazi-Verbrecher abgeurteilt gehörte), und den erst – vielleicht, wahrscheinlich – irgendwann in BRD-Zeiten dann doch sein verdientes Schicksal ereilen wird.
Bis dahin sprüht er Hochmut, Überlegenheitsbewußtsein und gnadenlose Bereitschaft dazu, die Dinge auf seine Art zu regeln. Selbst wenn er damit verheerend in das Leben seiner Tochter eingreift.
 
Will man dem Film kleine Fehler vorwerfen? (Mozart war nicht mit 30 Jahren tot, sondern mit 35, knapp 36.) Will man Stilbrüche monieren, wenn die Freunde an der Kunsthochschule Kurt dabei helfen, ein Treppenhaus zu putzen (er tut es, um zusätzlich Geld zu verdienen) und das im Stil einer amerikanischen Musical-Nummer tun? Will man bemerken, daß über drei Stunden Spieldauer für jeden Film sehr lang sind – obwohl man es nicht wirklich spürt, da immer genug Handlung da ist: Die Reflexion erbringt man als Zuschauer erst nachher.
Das Ende, ja, das Ende: Es sind die Erinnerungen an Elisabeth, die dem wahren Künstlertum in Kurt zum Ausbruch verholfen haben. Und Kunst – auch Kino – kann, womit sich das Leben im allgemeinen nicht abgibt. Es kann den Dingen nicht nur Aussage, sondern auch eine Form geben. Wenn Kurt nun ein Erlebnis aus seiner Kindheit mit Tante Elisabeth wieder erstehen läßt, ist das zwar Kitsch in Reinkultur – und doch wieder in sich richtig und ein Ende, das schreckliche Dinge hinter sich läßt und einen Helden, wenn man je einen unheldischen Helden hatte, mit bewältigter Vergangenheit in die Zukunft gehen läßt… eine glücklichere, hoffentlich, im Hintergrund sitzt der Sohn am Schoß der Mutter. Kitsch, von unendlich vielen klassischen musikalischen Motiven umrahmt? Sei es darum: Es ist, gar keine Frage, ein großer Film.
 
 
Renate Wagner