Literatur aus Böhmen und Mähren

Delikatessen aus dem Arco Verlag - gelesen

von Frank Becker

Literatur aus Böhmen und Mähren

Delikatessen aus dem Arco Verlag

 

Das Programm des Wuppertaler Verlags hat erlesene Prosa aus Böhmen und Mähren auf dem Lesezettel

Der 2002 von Christoph Haacker gegründete Wuppertaler Arco Verlag, der die Publikation in Vergessenheit geratener Literatur deutschsprachiger Schriftsteller Prags, Böhmens und Mährens auf seine Fahnen geschrieben hat, ist dabei, mit viel Sachverstand, spürbarer Liebe zur Sache, feinstem Fingerspitzengefühl und einem brillant ausgesuchten und konsequent fortgeführten Programm von hoher Qualität für die tschechische Literatur in Deutschland eine Position zu erobern, wie sie seit Jahrzehnten der Berliner Wagenbach Verlag für die italienische Literatur behauptet. Vier Bände der exquisiten Edition stelle ich ihnen hier vor.

Ludwig Winder (1889-1946), ein Autor, der in der vorzüglichen Reihe „Bibliothek der Böhmischen Länder“ einen angemessenen Platz findet, hat ein Œuvre hinterlassen, das ebenso umfangreich wie sprachlich und literarisch bemerkenswert ist. Sein umfangreiches Werk erlebt seit einigen Jahren eine erstaunliche Renaissance und hat sich damit, wenn auch zunächst für wenige, aus dem Nebel des Vergessenseins erhoben.

Max Brod hat prophezeit, dass Winder neu entdeckt werden würde und damit vorausschauend der tiefen Besorgnis eines Karl-Markus Gauß: „Wie kann einer so gute Romane schreiben und doch so gründlich vergessen werden?“, die Schärfe genommen. Winders Roman „Die Pflicht“ im Londoner Exil 1943 entstanden, der jetzt in bibliophiler Ausstattung vorliegt, ist ein Dokument höchster moralischer Welt- und Zeitsicht und ein Zeugnis für literarische Größe im Kleinen. „Die Pflicht“ ist ein schmaler Roman, der völlig unprätentiös und im Auftreten bescheiden zugleich ein Brillant ist. Beim Lesen entwickelt er ein Feuer, ein stets zurück genommenes Leuchten, das den nicht los lässt, der sich dem Schicksal des Protagonisten Josef Rada anöffnet. Unter dem Eindruck des grauenhaften Massakers von Lidice und des Todes vieler Freunde und Weggefährten in nationalsozialistischen Vernichtungslagern hat Winder über das Schicksal eines Mannes geschrieben, dessen Leben von seiner Pflicht als kleiner Beamter des Verkehrsministeriums in Prag und der Sorge um seine Familie bestimmt und das durch die Erkenntnis höherer Pflichten in eine neue Bahn gelenkt wird: den Widerstand. Das fatale Ende für Josef Rada ist ebenso absehbar, wie die Erkenntnis der Richtigkeit seiner Selbstaufopferung aus der historischen Einsicht, dass reale Menschen wie diese stellvertretende Romanfigur erfolgreich ins Räderwerk der Unterdrückungsmaschinerie eingegriffen haben.

Ludwig Winders „Die Pflicht“ richtete sich zum Zeitpunkt seiner Entstehung als Mahnung an die Zeitgenossen – heute ist es ebenso Mahnung an die Adresse der Nachgeborenen. Arco Verlag, 203 Seiten, Ln., mit einem Nachwort von Christoph Haacker und einem Apparat aufschlussreicher Anmerkungen,  22 Euro.

Zwei weitere Bände der „Bibliothek der böhmischen Länder“ und eine deutsche Erstausgabe aus

dem Slowakischen bot Arco 2006 auf.

Der Verlag konnte sich die deutschsprachige Erstveröffentlichung von Dušan Šimkos „Eszterházys Lakai“ sichern, eines sinnenfrohen, opulenten Romans aus der Zeit, in der Joseph Haydn im Glanz des Hofes von Schloss Eszterháza, dem ungarischen Versailles, reüssierte. Šimko verknüpft das Schicksal Isaak Abeles, der in der genussfreudigen Stimmung unter dem kunstsinnigen Nikolaus Fürst Eszterházy und dessen faunischem Oberhofmeister Peter Ludwig Rahier vom Lakaien zum Opernintendanten aufsteigt und dem der ihm in Liebe und Wollust ergebenen Sängerin Anna Zannini mit dem Haydns und Rahiers zu einem sprachlich wie erzählerisch beglückenden Kunstwerk. Die Federzeichnungen von Josef Mžyk illustrieren Erotik und Drama des deftig-pikanten Buchs delikat. (316 S., geb. mit Lesebändchen, 24,- Euro).

Dieter Sudhoff, Kapazität für Prager deutsche Literatur, hat unter dem Titel „Holunderblüten“ für die

„Bibliothek der böhmischen Länder“ eine Sammlung von Erzählungen deutscher Schriftstellerinnen aus Böhmen und Mähren zusammengestellt. Die Anthologie stellt neben bekannten Namen wie Bertha von Suttner und Marie von Ebner-Eschenbach 18 weitere Autorinnen von Rang vor, darunter Gertrud Urduzil, Christiane von Thun-Salm, Alma Johanna Koenig und Grete Fischer. Die Text-Sammlung wird von einem Nachwort Sudhoffs, Biographien und Bibliographien der Schriftstellerinnen sowie Listen weiterer Autorinnen und zugänglicher Literatur ergänzt. (289 S., Ln. mit Lesebändchen, 24,- Euro).

Schließlich präsentiert Arco den ergreifenden kleinen Roman Vladimír Körners „Adelheid“, eine bittersüße, tragische Liebesgeschichte aus der befreiten Tschechoslowakei nach 1945. Viktor Chotovický, ein in aus dem englischen Exil heimkehrender tschechischer Widerstandskämpfer trifft in der noch ungefestigten Heimat auf eine

Deutsche, die sein Leben erschüttern, ihm eine dramatische Wende geben wird (140 S. Ln.-Broschur, 16,- Euro).


Weitere Informationen unter:  www.arco-verlag.de