Drei Schauspieler schwelgen

Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm / Nach der Ruhe vor dem Sturm von Theresia Walser am Wuppertaler Schauspiel

von Frank Becker

v.l.: Martin Petschan, Miko Greza, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Drei Schauspieler schwelgen
 
Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm / Nach der Ruhe vor dem Sturm
von Theresia Walser
 
Inszenierung:  Kristin Trosits - Bühne & Kostüme: Nina Sievers – Dramaturgie: Peter WallgramRegieassistenz: Jonas Willardt – Inspizienz: Gesa Linnéa Hocke
Besetzung:
Miko Greza (H1: Hitler-Darsteller, Franz Prächtel) - Stefan Walz (H2: Hitler-Darsteller, Peter Söst) - Martin Petschan (G: Goebbels-Darsteller, Ulli Lerch) - - - Miko Greza (Irm König) – Stefan Walz (Liz Hansen) - Martin Petschan (Lerch)
 
Am Anfang ist Beckett: Warten.
 
Zwei, nun ja, arrivierte „Alt-Schauspieler“ und ein anfangs noch sehr zurückhaltender Jung-Mime harren uniformiert in quasi luftleerem Raum auf ihren Auftritt in einer Talkshow. Sie wurden eingeladen, weil jeder, also genau genommen nur zwei, nämlich Franz Prächtel (Miko Greza) und Peter Söst (Stefan Walz) einmal „den Hitler“ gespielt hat. Der dritte, Ulli Lerch (Martin Petschan), hat „nur“ einmal den Goebbels gegeben – aber, betont er, mit mehr Text als Hitler. Die drei also sollen nachher über ihre Erfahrung sprechen.
Man weiß nicht, was einen erwartet, diskutiert lampenfiebrig über Hamlet, wie man ihn ausspricht und wo man ihn schon gegeben hat… `73 in Ingolstadt… Über Göttingen als Theaterstadt kann man nur lachen. Über allem aber steht für sie die Frage: „Will man in die Theatergeschichte eingehen als Hitler-Darsteller?“
 
Dann Schenk/Qualtinger-Reminiszenzen
 
Mit ziemlicher Sicherheit kennt Theresia Walser den berühmten TV-Sketch mit Helmut Qualtinger und Otto Schenk, die als alternde, lebenslang auf Provinzbühnen reduzierte Schauspieler in der Abschminke sitzend, sich übertrumpfend ihre Erfahrungen austauschen. Viel von der Stimmung dieser Szene ist hier nämlich zu spüren. Es gibt auch selbstbespiegelnde Text-Passagen, die an die Hagenbuch-Geschichten Hanns Dieter Hüschs erinnern: Hagenbuh hat jetzt zugegeben…
Miko Greza spreizt sich als Franz Prächtel vor Eitelkeit triefend in vergangenem Ruhm: „Ich habe noch mit Dieter Fels gearbeitet!“ und stolzer Hybris: „Ich habe nie unter jemandem gearbeitet!“. Eine Führer-Natur. Auch mit seinem nun doch wirklich bescheidenen Wunsch nach einem Glas Hahnenwasser, das man ihm holen soll, schlüpft der Mime in seine Lebensrolle. Stefan Walz gibt dessen kollegialen Bewunderer mit fast devoter, aber wie sich zeigt, unehrlicher Haltung. Er glänzt darin in nervöser Anspannung, Liebedienerei und mit dem Running Gag der immer wieder vom schlecht sitzenden Koppelzeug der improvisierten Uniform abfallenden Gürtelschnalle. Martin Petschan schließlich als Ulli Lerch, der gering geschätzte und gemaßregelte Dritte im Trio, entwickelt seine zunehmend stärker werdende Figur mit jesuitischer Verschlagenheit. Lerch hat aus seiner Rolle (s.o.) gelernt.
 
Eitelkeiten, Aufgeblasenheit, Überheblichkeit
 
Das Bühnenbild von Nina Sievers zeigt über den ansteigenden Sitzreihen Dutzende von Luftballons, die auf den ersten Blick und im ersten Bild wie die Köpfe eines stummen Auditoriums wirken. Bald jedoch wird klar, was gemeint ist: Sie stehen, gasgefüllt an ihren Schnüren zerrend, für die Eitelkeit und Aufgeblasenheit unserer drei „Helden“. Greza, Walz und Petschan spielen das genüsslich, ja schwelgerisch aus – ein Vergnügen für das Publikum und sie selbst.
Theresia Walser hat mit „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ eine Theater-Satire mit Pfiff und Kenntnis geschrieben, die für Schauspieler ein besonderes Vergnügen sein muß, für viele sicher auch ein déja vu. Das Stück verlangt, wie das anschließende „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ nach Darstellern, die ihre Branche kennen, lieben und hassen, die alle Register ziehen und auch über sich selbst lachen können. Die hat Kristin Trosits in Miko Greza, Stefan Walz und Martin Petschan gefunden.


v.l.: Miko Greza, Martin Petschan, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Die andere Seite
 
Die Idee, mit den selben Darstellern im Doppelpack gleich anschließend Theresia Walsers neues Stück „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ zu geben, erweist sich als Glücksgriff. Zwei Schauspielerinnen, Irm König, die als „Glücksschiff“-Chef-Hostess Fernsehkarriere gemacht und 36 Jahre lang „Käpten – Frau Meier möchte sie sprechen“ hat (Miko Greza) und die der Bühne treu gebliebene Liz Hansen (Stefan Walz) bekriegen sich sarkastisch über das für und wider ihrer Disziplinen – und der Honorare. Die eine hat die Welt für die unsägliche Serie bereist, gut verdient – und kann exotische Länder nicht mehr sehen. Sorgen um Besetzungspläne hatte sie in dieser Zeit nie. Die andere hat das Spiel auf der Bühne kultiviert: „60 mal die Penthesilea – allein in Düsseldorf“! Daß sie in der Szene der Selbsterdolchung Penthesileas anstatt viermal fünfmal „So“ stöhnt, nebbich. Walz und Greza spielen sich mit sichtbar wachsendem Spaß den Ball zu, werden persönlich, beinahe albern, extemporieren und gehen in dem humorvoll-ironischen Text über das Theater auf dem Theater völlig auf. Und Lerch, irgendwie androgyn (Martin Petschan) räumt auf und gibt Stichworte.
Ein glänzender Theater-Abend. Nicht verpassen!
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de