Weckt Sehnsucht nach dem Original

„Christopher Robin“ von Marc Forster

von Renate Wagner

Christopher Robin
USA / 2018

Regie: Marc Forster
Mit:
Ewan McGregor, Hayley Atwell, Bronte Carmichael u.a.
 
Christopher Robin? Pu der Bär? Hatten wir das nicht eben? Tatsächlich sind sich zwei Filme zum gleichen Thema selten dermaßen auf die Füße gestiegen wie diesmal. Erst Mitte Juni sah man in unseren Kinos den durchaus ergreifenden Film „Goodbye Christopher Robin“, über den Jungen, für den sein Vater die Geschichte von „Pu der Bär“ geschrieben – und dann der Welt verkauft hat. Ein Film mit viel Empathie und berechtigten Fragen.
Nun bietet der Disney-Konzern, der die Rechte an dem Millionen-Objekt „Pu“ besitzt und per Animation schon ausgeschlachtet hat, noch einmal die Geschichte von Christopher Robin an – diesmal erwachsen geworden, als Familienvater im London der Nachkriegszeit lebend. Er hat eine Frau, eine kleine Tochter und einen wahrlich öden Job bei einer Gepäck-Firma. Der Stress, der beruflich auf ihm lastet (verlangen alle Chefs eigentlich immer Umsatzsteigerung?), läßt ihm keine Zeit für seine Familie, und die kleine Tochter soll in eine Boarding School abgeschoben werden, so wie es ihm als Kind geschehen ist… die klassische Ausgangssituation für einen Film, dessen „Moral“ wir vorbeten könnten und der ununterbrochen dramatisch mit dem Zeigefinger wackelt.
 
Ewan McGregor, einer von Schottlands gewichtigsten Beiträgen zum britischen Kino, vor 22 Jahren einer der schrägen Trainspotting-Typen, mittlerweile halb glücklich als Obi-Wan Kenobi in den „Star Wars“-Neuverfilmungen (als ob man eine solche Rolle Alec Guiness nachspielen könnte!), ist nun auch schon in die Jahre gekommen, einen Familienvater zu spielen, und sieht mit sehr, sehr müden Augen in die Welt. Und was sieht er? Pu! Der Bär ist los, fühlt sich verlassen im heimatlichen Sussex, bricht auf, um seinen Gefährten Robin zu suchen – und Schmalz und rosa Zuckerguß triefen nur so von der Leinwand.
Man erinnert sich, welche Sensation es einst war, als Robert Zemeckis 1988 in „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ erstmals Realschauspieler (Bob Hoskins traf das Los) mit Comic-Figuren kombinierte (da klappte die Koordination noch an allen Ecken und Enden nicht). Mittlerweile beherrschen die Computer sämtliche Illusionen so perfekt, daß man den Echtmenschen alles, was man will, als gleichwertig „lebendig“ gegenüber stellen kann: Pu, den Bären, nicht als gezeichnet (wie auch bei Disney schon brillant dagewesen), sondern der als solcher erkennbare Spielzeug-Teddybär, der dennoch agiert und spricht wie ein Mensch.
Als solcher ist er McGregor ein gewissermaßen gleichwertiger Partner, und die beiden bestreiten weite Teile des Films allein. Wobei sich der alte Christopher Robin von dem Tierchen alle Weisheiten über Liebe, Zusammengehörigkeit, Familie, Freundschaft und die emotionalen Qualitäten des Menschseins anhören muß… Bären wissen das und krächzen es uns ganz sentimental entgegen (zumindest in der Originalfassung, in der Synchronisation mag das anders sein). Ja, von Zeit zu Zeit funktioniert die Magie der erdachten Phantasie-Welt von Liebe und Güte wirklich. („Ein Bär hat wenig Hirn, aber ein großes Herz…“)
 
Gelegentlich spielt (auch das triefend) die kleine Tochter Madeleine (Hayley Atwell) mit, die Mama hat wenig mitzureden (Bronte Carmichael). Immerhin gibt sie dem Gatten, der sich ausredet, er arbeite für die Zukunft („Von nichts kommt nichts“, was ja nicht ganz falsch ist), die auch nicht falsche Antwort: „Das Leben passiert jetzt.“ (Was Drehbuchautoren halt an Lebensweisheiten so im Dutzend billiger einfällt…) Die Männer der Geschäftswelt sind am Rande nur marginal sympathisch (der eine, den man fürs Happyend braucht). Pus Gefährten kommen dann auch aus dem Wald, Ferkel, Tigger, I-Ah, Eule und was wir da alles noch so hatten. Wem da nicht das Herz aufgeht, der hat keines, möchte der Film von Regisseur Marc Forster verkünden. Falls man sich vorher nicht an zu viel Zucker verschluckt hat.
Die glückliche Lösung der Geschichte hat ihre Albernheiten: Wie steigert man den Umsatz von Koffern? Christopher Robin, von seinen Stofftieren beschwingt, schlägt vor: Alle Angestellten bekommen bezahlten Urlaub, dann werden sie verreisen und sich Gepäcksstücke kaufen. Irgendwie hat man das Gefühl, daß eine solche Rechnung nicht aufgehen kann.
Für Disney wird die Rechnung, den Bären Pu wieder auf die Leinwand zu schicken, sicher aufgehen. Wenn auch, bei so viel Herumgewühle in dem Thema, die Sehnsucht nach dem schlichten Original wieder ganz stark wird. Buch hernehmen!!!
 
 
Renate Wagner