Von fleischlichen Gelüsten und irdischer Gerechtigkeit

WTT: Spielzeiteröffnung mit „Der zerbrochne Krug“

von Frank Becker

Wolfgang Eysold ist Dorfrichter Adam - Foto © Frank Becker
Von fleischlichen Gelüsten
und irdischer Gerechtigkeit
 
WTT:  Spielzeiteröffnung mit
„Der zerbrochne Krug“

Remscheid: Der auf dem Pfad oder besser: auf dem Spalier der Tugend ausgeglittene  Dorfrichter Adam, der bei der Flucht vom Schauplatz eines missglückten Liebesabenteuers Gleichgewicht, Perücke und Reputation verloren, sich dafür aber arge Schrammen und zum üblen Schluss öffentliche Lächerlichkeit, Schimpf und Schande eingehandelt hat, ist zur Paraderolle für jeden Charakterdarsteller geworden, seit Heinrich von Kleists gewitztes Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ 1820 mit Erfolg aufgeführt wurde. Nach dem Durchfall bei der Uraufführung 1808 brachte eine gekürzte Fassung den seither ungebrochenen Erfolg. Der Krug des Richters, d.h. der streitbaren Frau Marthe, ist seitdem landauf, landab ungezählte Male zum Brunnen gegangen und Adam von allen Großen der Bühne verkörpert worden.
 
Jaschi Jaschinski hat dem herrlichen Stück für das Remscheider WTT eine herzhafte Kurzfassung von 80 Minuten abgewonnen, die moralische Komödie für den Spielzeitbeginn griffig inszeniert und am Tag der deutschen Sprache mit ausgezeichnetem, überwiegend neuem Personal vor ausverkauftem Haus auf die Bühne gebracht. Die zentrale Figur des Dorfrichters ist in den bewährten Händen des Erzkomödianten Wolfgang Eysold, der die Klaviatur von Burleske bis Tragödie hinreißend beherrscht, bestens aufgehoben. Wo andere Standard-Rollen der Literatur irgendwann abgespielt sind, gibt die Figur des Adam so viele Facetten her, daß ein guter Darsteller ihn stets neu erfinden kann. So auch Eysold, mit dessen wortloser Schmerzensarie auf dunkler Bühne nach dem beziehungsreichen Glockenspiel „Üb immer Treu und Redlichkeit“ das Schicksal seinen Lauf nimmt.
 
Ob in stummer Mimik oder in wortreicher Suade, Eysold brillert. Einen Krug hat der alte Tölpel bei der Gier nach jungem Fleisch zerbrochen, als er der hübschen Eve (Verena Sander in pausbäckigem Liebreiz) nächtens an die Pelle wollte. Nun soll er tags darauf in seinem juristischen Amt über den irrtümlich von Frau Marthe (herrlich Christine Gülland in ihrem „Scherbengericht“), beschuldigten kreuzbrav-tumben Ruprecht (Alexander Hanfland) richten - ohne Perücke, aber mit verräterischer Wunde am Kopf, die Ruprecht dem ins Dunkel  flüchtenden Übeltäter geschlagen hatte. Und ausgerechnet jetzt kommt Gerichtsrat Walter (routiniert: Matthias Clauß) zur Inspektion. Adam verstrickt sich in seine Lügen und der ehrgeizige Schreiber Licht, in überzeugender Gratwanderung von Carsten Keller gegeben, nutzt seine Chance.
 
Ein gelungenes Unternehmen ohne störende Pause, ein intelligenter Spaß mit herzlichen Lachern, reichem Applaus und vielen Vorhängen. Kann man sich durchaus noch einmal ansehen.
 
Frank Becker, 12.9.04