Vom Leben und Schreiben. Und Überleben.

Karl Ove Knausgård – „Im Frühling“ / „Im Sommer“

von Cornelia Manikowsky

 

         

 

Karl Ove Knausgård – „Im Frühling“
  Karl Ove Knausgård – „Im Sommer“


Vom Leben und Schreiben. Und Überleben
 
Karl Ove Knausgård – „Im Frühling“ und „Im Sommer“
 
von Cornelia Manikowsky
 
Nach „Im Herbst“ und „Im Winter“ (beide 2017) sind nun auch die anderen beiden Bände der Jahreszeitentetralogie Karl Ove Knausgårds erschienen: „Im Frühling“ und „Im Sommer“. Wie auch die beiden ersten Bände sind sie mit Bildern Bildender Künstler versehen, die auch die Einbände bestimmen und auf ihre jeweils eigene Art einen Bezug zu den Texten Knausgårds herstellen.    
 
Ein Selbstmordversuch, ein Jahr zwischen Leben und Tod: Romanartig, mit zahlreichen Rücksprüngen schildert Knausgård in „Im Frühling“ einen Tag im April: Die Tochter ist drei Monate alt und sie besuchen ihre Mutter im Krankenhaus. Dort liegt sie mit Unterbrechungen seit einem Selbstmordversuch während der Schwangerschaft. Mittlerweile geht es wieder aufwärts, bald wird sie entlassen werden und zu ihrer Familie zurückkehren und auch das Baby scheint alles unbeschadet überstanden zu haben. 
Knausgårdleserinnen wissen, daß Karl Ove Knausgårds Ex-Frau, die Schriftstellerin Linda Boström Knausgård, an einer bipolaren Störung leidet, die Krankheit ist sowohl in den entsprechenden Bänden von „Min Kamp“ (die auf Deutsch aus naheliegenden Gründen „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“, „Leben“, „Träumen“ und „Kämpfen“ heißen), wie auch in den ersten beiden Bänden der Jahreszeitentetralogie präsent, doch was bislang ein beängstigender Teil der „Lebens“erzählung war, zeigt sich in „Im Frühling“, wo die Krankheit das dramatische wie dramaturgische Zentrum der Tetralogie bildet als Gravitationszentrum eines Schreibens um zu (über-)leben. Eingerahmt durch die lange Autofahrt ins Krankenhaus und durch Erinnerung an die Begleiterscheinungen des Selbstmordversuchs (die Fürsorge meldet sich, eine Darmuntersuchung wird aufgeschoben) reflektiert Knausgård die (gescheiterten) Lebens- und Liebesgeschichten der eigenen Eltern und erzählt von der Liebe und Nähe zu seiner Frau in der Zeit, in der sie sich zu einem vierten Kind entschlossen, auch wenn die Depressionen seiner Frau schon damals das Familienleben überschatteten. Es ist – zwangsläufig – seine Version der Geschichte, in der seine Frau mehr und mehr die eigene Stimme verlor. Als wolle er die Zeit anhalten um zu begreifen, wie die Entscheidung für ein Kind, die Lebenseuphorie in ihr glattes Gegenteil umschlagen kann erfahren wir von den Aufs und Abs der Depression, von Hilflosigkeit, Zorn, Schuldgefühlen und nicht zuletzt der Gewöhnung und dem Organisationsaufwand, dem der Angehörige eines an einer bipolaren Störung erkrankten Menschen ausgesetzt ist – bis er den Krankenwagen rufen muß.  Und doch geht das Leben weiter, auf den Frühling folgt der Sommer, die Kinder gehen ihren Spielen nach und so bleibt am Ende der Eindruck eines phantastischen Sommers mit gelben Kornfeldern und strahlend blauem Himmel und dem Lachen der Kinder im Planschbecken im Garten. Und der Vorfreude auf das Baby, das bald zur Welt kommen wird. So ist dann auch dieses Buch, in das die Erinnerung an den Selbstmordversuch hereinbricht eine Hymne an die Gegenwart, an die Präsenz des Augenblicks, an das Leben geworden, die Knausgård am Ende des Buches – das erst ungeborene Kind und der dann drei Monate alte Säugling der Erzählung ist nur zwei Jahre alt und beginnt zu sprechen, die Mutter hat das Krankenhaus längst verlassenen – in einem Epilog und in direkter Anrede an die Tochter zusammenfaßt: „Manchmal tut es weh zu leben, aber es gibt immer etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Meinst du, du kannst dir das merken?“    
 
Mit „Im Sommer“, dem letzten Band der Tetralogie knüpft Knausgård dann wieder an das Protokollieren und Inventarisieren des Lebens der ersten beiden Bände an. Auf den ersten Blick scheint es weiter zu gehen, mit Kurztexten über Mixer und Regenwürmer und Intelligenz, mit Betrachtungen zu Zynismus und Tränen, mit dem familiären Alltag einer nordeuropäischen Familie in der sich die fortschreitende Autonomie der Kinder in den gesteigerten Chauffeurdiensten der Eltern niederschlägt und doch stechen die vielen Passagen, die sich mit dem Schreiben beschäftigen, in denen über das Schreiben im Allgemeinen, über das Schreiben über das eigenen Leben und umgekehrt über das Leben mit dem Schreiben nachgedacht wird, ins Auge. Und dann sind da die Tagebuchtexte, die (analog zu den Briefen an die ungeborene Tochter in den ersten Bänden) den Kurztexten über Alltagsgegenstände und Alltagsphänomene gegenübergestellt sind und aus denen sich wiederum eigene Erzählungen herauskristallisieren. Zu nennen ist hier insbesondere die Erzählung von der jungen Norwegerin, die sich während der Nazibesetzung Norwegens in einen österreichischen Besatzungssoldaten verliebt und für diesen ihr Leben und ihre Kinder verläßt. Über mehrere Tagebuchabschnitte wird uns diese Geschichte erzählt, nacherzählt, als eine Geschichte, die in Norwegen bekannt ist und die schon Knausgårds Großeltern und Eltern kannten. Es ist die Geschichte einer unmöglichen, verbotenen Liebe und es ist die Geschichte einer nicht aufzulösenden Schuld: Denn der Liebe halber verläßt die junge Frau ihre Familie und der Soldat desertiert und der Liebe halber erschießt der Soldat ihre Fluchthelfer, damit diese sie – ob freiwillig oder unter Druck – nicht verraten können, da das seine Exekution und die Ächtung der Geliebten bedeutet hätte. – Eine Liebesgeschichte voller Moral und Schuld, die dieses vertrackte leere Gefühl hinterläßt, das dem Lesen solcher Geschichten eigenen ist: Will man tatsächlich so verführt und vorgeführt werden, daß einem einfach etwas erzählt werden kann, daß man gierig, lüstern fast, „das Ende“ erfahren will, will man sich mit dem Unglück der anderen unterhalten lassen?   Knausgård könnte es also auch, könnte auch „normale“ (…) Romane schreiben, die die Aufmerksamkeit mit einer gehörigen Spur Voyeurismus und den kalkulierten Höhepunkten einer Vorabendserie binden, anstatt Alltagsphänomene literaturreif zu schreiben, anstatt sich und das eigene Schreiben wieder und wieder zu hinterfragen: In einem der ersten kurzen Texte aus „Im Sommer“, „Sommerabend“ schildert er einen sehr nahen und intensiven Abend, den er mit der Frau, die er liebte verbrachte und der dann ihr letzter gemeinsamer Tag sein sollte, weil in den folgenden Tagen Differenzen zur Sprache kamen, die zur Trennung führten: „Bis heute schmerzt es mich, daran zu denken, daß wir in jener Nacht zusammen waren, der schönsten, die ich jemals erlebt habe, und sie nicht auf die gleiche Weise erlebt haben können, wie ich es damals geglaubt hatte. Das Wir, das ich so intensiv empfand, galt nur für mich.“ 
Und da ist sie wieder, die Einsamkeit des Erlebenden und des Schreibenden, diese so grundsätzliche Einsamkeit, die macht, daß das Leben nur schreibend (und weiter- und umschreibend) überlebt werden kann.    
 
Karl Ove Knausgård – „Im Frühling“ 
Mit Bildern von Anna Bjerger.
© 2018 Luchterhand Literaturverlag, 249 Seiten Gebunden - ISBN 978-3-630-87512-5
22,- € 
Karl Ove Knausgård – „Im Sommer“
Mit Aquarellen von Anselm Kiefer.
© 2018 Luchterhand Literaturverlag, 490 Seiten Gebunden - ISBN 978-3-630-87513-2
24,- €