Der Rangeher

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Der Rangeher

Sind sie auch so ein Rangeher, ein Draufgänger, ein im Mittelpunktsteher, ein sich in den Vordergrunddrängler, so ein Aufmerksamkeitsheischer? Manchmal treffen sie wen auf der Party, der steht mit ihnen am Buffet, ist überfreundlich, fragt „Wie geht’s, wie stehts. Ham sie Sorgen. Kann ich helfen?“, schüttelt einem die Hände, als wären sie aus Fimo Knete, aber plötzlich, wie aus heiterem Himmel, beschallt sein Smartphone den Raum: Der Walkürenritt von Wagner. In Dauerschleife. Lidl lidl lidl. Und er sagt: „Entschuldigung, da muß ich jetzt ran geh`n. Das ist jetzt wichtig.“ Verstehen sie, da muß er jetzt rangehn. Das ist wichtig. Da wird er dringend gebraucht, weil das Überleben der Menschheit, das Schicksal der Welt, die Antworten Gottes von seinem Rat abhängen. So wendet er sich ab, läßt uns links liegen, uns Normalsterbliche mit unseren Kleinkunstsorgen, die wir nun hilflos zuhören müssen, ob wir wollen oder nicht, wenn er zum Smartphone greift und flüstert wie ein Pornostar: „Hier spricht Professor Doktor Adler, ich habe ihren Anruf erwartet.“ Das wußten wir gar nicht, daß er Professor Doktor Adler ist, und in die Zukunft schauen kann er auch noch.
Ich habe ihn immer „Teddy“ genannt: „Teddy, die Pflaume“, weil er immer blau anläuft, wenn man ihn schlägt. Und nun ist er ein richtiger Professor Doktor und spricht wahrscheinlich mit denen, die wir nur aus Zeitung, Fernsehen, aus den Hinterzimmern der Politik und der ersten Reihe der Weltbühne kennen. Und dann haben wir es endlich alle kapiert, wir kleinen Geister, wir aus dem Zwergenvolk, daß sich Professor Doktor Adler für uns aufopfert, um im Interesse aller wichtige Entscheidungen zu treffen und dafür sogar seinen Platz am Buffet aufgeben hat, wo gerade die Schnitzel auszugehen drohten und er das wahrscheinlich auch noch, mit dem kleinen Finger, regelt: „Bevor sie die Atombombe starten, lassen sie noch n paar Schnitzel rüberwachsen, weil die Jungs hier Erfolg nur daran messen, wenn sie den vor sich auf dem Teller sehen.“
Als Teddy die Pflaume mochte ich ihn lieber. Was nützt mir die Rettung der Welt, wenn es hier nicht mehr schön ist? Natürlich möchte ich auch mal im Mittelpunkt stehen, Duzfreund der Mächtigen sein, Zünglein an der Waage spielen, herausragen aus dem Mainstream. Wer will das nicht? Vielleicht auf einer Beerdigung, wo ich gerade Trost spenden sollte. Lidl lidl lid. „O Entschuldigung, da muß ich jetzt ran geh`n. Es ist Gott. Er will mir nur erzählen, wo der Verstorbene jetzt hin ist.“ Das macht Eindruck. Das ist tröstlich. Bei einem Unfall, wo ich gerade eine Mund-zu-Mund-Beatmung einleiten wollte. Lidl lidl lid. „O Entschuldigung, da muß ich jetzt ran geh`n. Mein Atemspraylieferant. Das ist wichtig.“ Oder während einer rauschenden Liebesnacht, wo wir gerade zur Wolke 7 schweben. Lidl lidl lid. „Oh Entschuldigung, da muß ich jetzt ran geh`n. Meine Frau.“ Beim Entschärfen der Bombe und man ist der einzige, der in den verbleibenden zehn Sekunden sagen kann, ob der gelbe oder der blaue Draht durchgetrennt werden muß. Lidl lidl lid. „Oh Entschuldigung, da muß ich jetzt rangehn. Das ist mein Augenarzt, der mich behandelt wegen meiner Farbenblindheit.“ Oder bei der Hochzeit vor dem Altar, kurz bevor man den Bund der Ehe eingehen will. Lidl lidl lid. „O Entschuldigung, da muß ich jetzt ran gehn.“
Und dann nehmen sie ihr Handy und sagen „ja“, damit sie gleich weiß, daß sie ihr nicht gehören können, daß sie niemand besitzen kann, daß sie frei sein müssen, um besondere Aufgaben zu übernehmen, daß sie all denen das Ja-Wort geben, die in Not sind, weil es in Gottes schöner Welt sonst keinen andern gibt, der die Karre aus dem Dreck ziehen kann. Wenn es bei mir klingelt, dann ist es meistens der kleine Sohn meiner Nachbarin, die des nachts an der Shell-Tankstelle arbeitet und der dann nicht schlafen kann und mich immer anruft, weil er weiß, daß ich dann immer dran gehe, wenn er mich braucht, und ich sofort bereit bin, ihm ein Schlaflied vorzusingen. Und dann werde ich an mein Handy gehen und ihm zuflüstern: „Hallo mein Schatz. Ja, ich bin´s. Stell den Apparat auf laut und deck dich zu. Das haben wir gleich.“ Und dann singe ich ihm das Lied vor vom großen G und vom kleinen Glück und er ist ganz Ohr: „Da wo das Glück wohnt/ da will ich sein/ da wo das Glück wohnt/ da laß mich rein// Da wo das Glück wohnt/ für Frau und Mann/ da wo das Glück wohnt/ dort klopf ich an// Da wo das Glück wohnt/ für Baum und Tier/ da wo das Glück wohnt/ da wohnen wir// Da wo das Glück wohnt/ dort will ich sein/ da wo das Glück wohnt/ will Glück ich sein//“. 
 
 
© Erwin Grosche
 
 Redaktion: Frank Becker