Wie‘s einem am Geburtstag so gehen kann

Zu Freund Hermanns Achtzigstem

von Michael Zeller

Hermann Schulz - Foto © Frank Becker

Wie‘s einem am Geburtstag so gehen kann
 
Zu Freund Hermanns Achtzigstem
 
Einen ziemlich weiten Weg hatte Iskender noch vor der Brust. Aber er war ungeheuer stark und strotzte nur so vor Unternehmungslust. In seinem Alter ließ er sich von so ein paar Tausend Kilometer nicht den Schneid abkaufen. Vom Heimatdorf oben im Taurus ging’s nach Ankara, dann ans Meer. Allein die Reise im Bus durch die Türkei dauerte ein paar Tage. Und dann kam erst noch der ganze Balkan, per Anhalter. Aber Iskender war stolz, daß sie ihm zu Hause zugetraut hatten, den langen Weg allein zu schaffen. Jedem, der ihn unterwegs fragte, wohin er denn wolle, sagte er, mit einem verträumten Lächeln: In ein finsteres Tal im Norden wolle er. Dort wohne ein Zauberer. Aber kein böser.
 „Ohne den wäre ich gar nicht auf der Welt“, erzählte Iskender weiter, der froh war, endlich mal wieder mit jemandem reden zu können nach dem tagelangen Wandern im Staub. „Und der hat bald Geburtstag. Acht mal zehn Jahre“, schob er nach und streckte acht seiner Finger in die Luft. „Verstehen Sie? Bei dem Fest darf ich doch nicht fehlen!“
 
Es waren aber noch zwei andere unterwegs zu dem Zauberer im finsteren Tal, im Alter von Iskender, beide braun behäutet, ein Junge und ein Mädchen: Nelson und Mandela hießen sie. Wenn nicht alles täuschte, waren das Zwillinge. Beide trugen sie ein quittegelbes Leibchen. Das war so neu, daß man die Knickfalten darauf sehen konnte. Ihr Weg von Tansania war noch weiter gewesen als der vom Taurus, aber sie hatten Glück gehabt. Sie mußten nicht extra aus ihrem Dorf Bagamoyo anreisen, um den weißen Zauberer an seinem Geburtstag aufzusuchen. Sie waren mit ihrer Fußballmannschaft zu Spielen im Ruhrgebiet eingeladen und kamen jetzt mit der S-Bahn aus dem nahen Dortmund. Trotzdem machten sie große Augen, als sie ihr Ziel erreicht hatten. Das Tal hier war wirklich verdammt düster und so eng, daß da nicht mal eine richtige Straße reinpaßte. Der Bahnhof sah ja schlimmer aus als ihre alte Boma in Bagamoyo. Die reine Baustelle um einen bronzenen Palast, dessen Ecken ziemlich krumm geraten waren. Für das letzte Stück mußten sie die Straßenbahn nehmen. Aber bei der lagen die Schienen verkehrt herum. Deshalb schaukelte sie durch die Luft, auf einer Art Himmels-U-Bahn. Das war wirklich ein komischer Flecken, verständigten Mandela und Nelson sich mit einem Blick. Aber irgendwie paßte das zu ihrem Zauberer.
 
Als sie den Hatzfelder Berg erklommen hatten und in die Straße Auf dem Brahm einbogen, kam ihnen ein blasser dunkelhaariger Junge entgegen, in ihrem Alter, der einen riesigen Kartonkoffer hinter sich herzog. Er rieb sich den Staub Anatoliens aus den Augen. „Ich bin Iskender“, stellte er sich vor und schüttelte Nelson die Hand. Mandela traute er sich nicht richtig anzuschauen. „Ich komme aus Yenikoy, im Taurus. Und du?“
„Aus Bagamoyo sind wir“, schob Mandela sich nach vorne. „Aus Tansania. Ich spiele rechts hinten in unserer Fußballmannschaft. Gegen Ahlen habe ich sogar ein Tor geschossen.“
Doch diesen Satz verstand keiner mehr. Denn ein schwerer Armeehubschrauber drehte über ihnen ab und ließ sich mit einem Höllenlärm auf dem Bürgersteig vor der Gartentüre Auf dem Brahm nieder. Fünf fröhliche Jungs sprangen raus. Und eine gewaltige Wildkatze, Gott sei Dank an einer Kette.
 
„Wohnt chier Pan Chermann Schulz?“ brüllte einer von ihnen gegen den Lärm an. Der völlig überdrehte Jaguar zerrte an seiner Leine, eine herrliche Bestie in silbergrauem Fell. „Von Minsk chaben wir den direkten Weg genommen, karascho!“
Ohrenbetäubend ratterten die Blätter des Hubschraubers über der friedlichen Wohnsiedlung. Die Anwohner hatten längst die Türen ihrer Häuser aufgerissen und steckten die Köpfe raus. Sehr willkommenskultürlich schauten sie nicht gerade drein.
Mit einem bestürzten Gesicht stand am Eingang der Nummer 19 ein Mann und starrte auf das bunte Völkchen, das sich da in seinem Vorgarten versammelt hatte. Offenbar wollten die etwas von ihm. Das weiße Haar stand ihm zu Berge - oder kam er gerade aus dem Bett?
 
„Nicht mal an seinem Geburtstag hat man Ruhe vor diesem zweifelhaften Gelichter, das man irgendwann mal in einer schwachen Stunde in die Welt gesetzt hat“, entfuhr es ihm. „Was um des Himmels willen soll ich jetzt mit der ganzen Sippschaft anfangen?“
Da erschien im Türrahmen hinter ihm eine hübsche blonde Frau.
 „Wir haben noch ein paar Stücke Kuchen im Haus aus Ottos Steh-Café, und eine halbe Kanne Kaffee von gestern steht auch noch da. Kommt rein. War schließlich ein langer Weg für euch alle, oder?“ Das ließ sich keiner zweimal sagen.
 „Ist das Kätzchen auch stubenrein?“ rief der weißhaarige Zauberer ihnen nach. „Hätte ich mich doch rechtzeitig ins friedliche Wendland abgesetzt!“
 
Aber es soll dann doch noch ein recht netter Geburtstag geworden sein, erzählen sich die Nachbarn.
 
 
© Michael Zeller