Eine Heldenstory ohnegleichen

„Die Farbe des Horizonts“ von Baltasar Kormákur

von Renate Wagner

Die Farbe des Horizonts
(Adrift - USA 2018)

Regie: Baltasar Kormákur
Mit: Shailene Woodley, Sam Claflin u.a.
 
Neben dem Hochgebirge ist das Meer jenes Element der Natur, das den Menschen nachdrücklichsten in seine Grenzen verweisen kann. Entsprechend gab es genügend Katastrophen- und auch Überlebensfilme, die am Wasser spielen. Und offenbar wird der spanisch-isländische Regisseur Baltasar Kormákur von solchen Extremen, von dieser Art von Kämpfen am stärksten angezogen. Nach „Everst“ (eine einigermaßen wahre Geschichte) verfilmte er nun „Red Sky In Mourning: A True Story Of Love, Loss, and Survival At Sea“ der Amerikanerin Tami Oldham-Ashcraft: Ihr Überleben in unglaublichen 41 Tagen auf dem Meer in einer demolierten Jacht ohne Kontakt mit der Außenwelt…
Nun – eine Frau allein und das Meer? Selbst in dem legendären Film „Life of Pi“, zu Deutsch „Schiffbruch mit Tiger“, war der junge Held wenigstens nicht ganz allein auf See, sondern bekam das Raubtier als Partner. Kinodramaturgie und Leben sind zwei verschiedene Dinge. Und so hat man in Übereinkunft mit der Autorin ihre Geschichte, die dramatisch genug war, noch ein bißchen aufgeputzt.
Manches wirkt einladend und im Grunde harmlos wie Urlaub. Tami, die amerikanische Rucksacktouristin, die 1983 in Tahiti eintrifft, kann dem Mann bei der Paßkontrolle nicht sagen, wie lange sie bleiben oder wohin sie später reisen will. Sie ist einfach unterwegs, läßt sich treiben, fühlt sich wohl dabei. Mit irgendwelchen Aushilfsarbeiten kann man sich bei minimalen Bedürfnissen immer über Wasser halten. Und auch der Liebe seines Lebens begegnen.
 
Er heißt Richard, ist Engländer, und sein Heiratsantrag besteht in der Einladung, mit ihm auf seiner Jacht loszusegeln. Keine Frage, wir haben ihnen eine zeitlang zugesehen, wie gut sie sich verstehen, wie glücklich sind, also – los. Allerdings kommt noch was dazwischen: Ein reiches Ehepaar, Bekannte von Richard, suchen jemanden, der ihre Jacht von Tahiti nach San Diego überstellt – ein weiter Weg über den Pazifik, aber bei erfahrenen Seglern? Die Leute wollen auch gut zahlen, also machen sich Tami und Richard auf den Weg. Und geraden in einen der schlimmsten Stürme, die überhaupt vorstellbar sind.
Eigentlich beginnt der Film ja so – daß Tami, bis zum Hals im Wasser, in einer demolierten Jacht, umringt von Wrackteilen, aus der Besinnungslosigkeit erwacht und sich allein am Ozean findet. Die Rückblicke, die von glücklichen Zeiten erzählen, wechseln immer wieder mit der tragischen Realität der schier hoffnungslosen Situation auf hoher See ab, wo die junge Frau auf einem manövrierunfähigen Boot allein dahin treibt.
Allein? Wir sind im Kino, die Realität war anders, aber hier scheint es, als fände sie (eigentlich undenkbar) am Ozean den von Bord gespülten Gefährten wieder, rettet ihn, zerrt ihn aufs Boot, bettet den Verletzten an Deck, pflegt ihn, kommuniziert mit ihm – und erst gegen Ende, als Tami wieder alles Erwarten gerettet wird, deutet der Film vage (nie klar ausgesprochen) an, das alles könnte ein Wunschtraum gewesen sein, eine Selbstmotivation der Schiffbrüchigen, die diese Illusion benötigte, um nicht aufzugeben, um ihr ganzes Wissen, ihre ganze Kraft, ihre ganze Entschlossenheit einzusetzen, damit sie nicht aufgab…
 
Es ist eine Heldenstory ohnegleichen, mit atemberaubenden Action-Szenen, Mensch gegen Naturgewalten zeigend, und Regisseur Baltasar Kormákur hat es wieder einmal geschafft, das Gefühl absoluter Echtheit zu vermitteln, so daß es egal ist, wie viel von dem Film im Studio entstanden ist. Es geht um die Glaubwürdigkeit. Und, weil nur „Kampf mit dem Meer“ nicht ausreicht, gibt es auch einiges an Kitsch in der Beziehung des Paares.
Doch: Obwohl es natürlich eine tolle Geschichte ist, fragt man sich immer wieder zwischendurch, warum man sich solche Überlebensgeschichten ansieht, die im Grunde so düster und tragisch sind. Und eigentlich überhaupt nicht zum Jubeln.
Shailene Woodley ist von Anfang bis zum Ende die „Heldin“ der Geschichte, und sie überzeugt durch Normalität – nicht besonders schön, nicht besonders sexy, aber doch sehr viel Stärke ausstrahlend, das, was sie zum Überleben gebraucht hat (abgesehen von beträchtlichen körperlichen und geistigen Qualitäten). Sam Claflin ist der sympathische Partner, der vergleichsweise wenig zu vermelden hat. Na ja, schließlich ist er, auch wenn er da ist, nicht wirklich – wirklich…
 
 
Renate Wagner