Lise de la Salle im Glaskubus des Skulpturenparks Waldfrieden

Ein Wuppertaler Konzert des Klavierfestivals Ruhr

von Johannes Vesper

Lise de la Salle - Foto © Johannes Vesper

Lise de la Salle beim Klavierfestival Ruhr
in der Glashalle des Skulpturenparks Waldfrieden zu Wuppertal
 
Von Johannes Vesper
 
Fußkrank durften Musikfreund und Klavierenthusiastin bei diesem Konzert nicht sein. Der Unterbarmer Parnass, der einzigartige Skulpturenpark Tony Craggs will erstiegen sein. Die Anstrengung wurde aber bei diesem Konzert in der eleganten Glashalle mit dreifachem Genuß belohnt. Draußen Wald und Abendhimmel, überall in und vor der Halle Gipsfiguren vom alten Markus Lüpertz, die eigens für dieses Konzert ausgeräumt wurden, und dann die junge Lise de la Salle, die, 1988 in Frankreich geboren , mit vier Jahren angefangen hat , Klavier zu spielen, mit 10 Jahren die Schule verließ und sich per Fernunterricht - in Frankreich möglich - den Schulanforderungen stellte. Mit 15 Jahren besuchte sie das Pariser Konservatorium, machte mit 18 Abitur und ihren Hochschulabschluß. Inzwischen lebt sie in New York, spielte mit allen großen Orchestern der Welt und jetzt solo in Unterbarmen.
 
Der Klavierabend begann mit der Fantasie in d-moll KV 397 von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791). Langsame Arpeggien leiten ein bis mit einem traurigen Thema und ernsten Tonrepetitionen die Fantasie Fahrt aufnimmt. Virtuose Läufe unterbrechenden den musikalischen Fluß, bevor das Stück mit einer flotten Coda endet. Spieltechnisch unkompliziert, eignete sich diese improvisatorisch anmutende Fantasie gut zur Einstimmung auf diesen besonderen Soloabend.
Die „Ah, vous dirais-je Maman“-Variationen (C-Dur KV 268) stammen vom Frühsommer 1778. Die Widmung für seine Schülerin Auernhammer legt zwar 1781 als das Jahr der Komposition nahe. Sie wurde aber von einem späteren Verleger hinzugefügt und gefälscht. Mozart hielt sich 1788 in Paris auf und berichtete im Brief vom 03.07.1778 um 2 Uhr nachts vom traurigsten Tag seines Lebens, vom Tag, an dem seine liebe Mutter starb. „Was ich Dir sagen wollte, Maman“ hat er vielleicht komponiert, um für die geliebte Mutter noch einmal seine Kindheit und Jugend musikalisch auszubreiten. Aber das Leben geht weiter. Der 22jährige Wolfgang Amadeus tobt sich in diesem Kinderlied-Thema („Morgen kommt der Weihnachtsmann…“) spielerisch aus. Erst kommt das Thema in der rechten Hand, dann in der linken. Flinke Variationssechzehntel wechseln mit munteren Triolen. Später wechseln sich flott die Hände ab, dann Minore- und Maggiorevariationen. Bei nicht einfacher Spieltechnik wird mit jugendlicher Frische der Flügel zum Klingen gebracht. Ländlerklänge werden unterbrochen von ernsten fragenden Episoden bevor im finalen vivacissimento die 32tel den Weihnachtsmann zu Ende jagen. Die leicht metallische Überakustik der Glashalle, vor allem in den hohen Lagen des großen D-Flügels von Steinway & Sons, schränkt zumindest bei Mozart die Delikatesse des akkuraten Spiels etwas ein. Ob hier ein Flügel mit weicherem Klang (z.B. Blüthner) helfen würde?
 
Albert Roussel (1869-1937) studierte Musik, nachdem er mit 25 Jahren seine Laufbahn als Marineoffizier beendet hatte. Später reiste er nach Indien und Indochina und lehrte als Professor in Paris Kontrapunktik. Heute hörten wir Prelude und Fuge op. 46. Mit überraschender Dynamik und emotionaler Vielschichtigkeit entspricht seine Hommage an J.S. Bach differenziertem, expressivem Klassizismus. Die herbe, komplizierte, schwere, frühmoderne Harmonik endet überraschend mit reinem Dur-Akkord.
Auch Claude Debussy (1862-1918) bezieht sich mit seinen Preludes auf Bachs Wohltemperiertes Klavier. Improvisatorisch frei, übertitelt wie impressionistische Gemälde („Töne und Düfte erfüllen die Abendluft“, „Der Tanz des Puck“, „Delphische Tänzerinnen“ u.a.) entsteht Debussys Musik aus „Farben in rhythmisierter Zeit“. Manche Stücke wünschte sich der Komponist nur unter vier Augen gespielt, wozu sich der intime Saal als gut geeignet erwies. Zuhörer wie Pianistin hatten sich wohl inzwischen auch an die spezielle Akustik gewöhnt. „Was der Westwind blies“ zeigte uns dann am Ende ungeheuer lebendig und aktiv die junge Musikerin ihre Verve und ihr Talent.
Mit Prosecco, Mineralwasser und Salzbretzeln auf Einladung des Sponsors diskutierte das Publikum in der Pause unter Bäumen angeregt die Musik. Welch wunderbarer Ort für so ein Konzert.


Lise de la Salle - Foto © Johannes Vesper

Maurice Ravels (1875-1937) Sonatine in fis-moll gilt als eines der populärsten Werke des Komponisten, der damit gegen seinen Ausschluß vom Rom-Wettbewerb protestiert hatte. Der Quart-Abwärtssprung bzw. seine Umkehrung verbindet motorisch als durchlaufender Impuls die drei Sätze. Zweiunddreißigstel Folgen erinnern an Bachs Präludien. Ravel, der eigenes Virtuosentum wegen seiner kleinen Hände für sich ausgeschlossen hatte, fordert in diesem Werk vor allem im lustvoll sprühenden „Finale con animé“ höchst anspruchsvolle Spieltechnik, der das Publikum hochkonzentriert, entzückt lauschte und dann mit starkem Applaus belohnte.
Die Barockmusik scheint doch Anfang und Ende der Musik zu sein. Das gesamte Programm spiegelte Bach und Händel in Romantik und früher Moderne wider. Zum Schluß gab es von Johannes Brahms (1833-1897) Variationen und Fuge über ein Thema von Georg Friedrich Händel op. 24. Kontrapunktisch frei komponierte Brahms Charaktervariationen höchster Komplexität mit vertrackten Rhythmen, komplizierter Harmonik und diffiziler Dynamik. Clara Schumann, der das Werk vom Komponisten gewidmet worden war, traute sich es sich zuletzt nicht mehr zu. Aber hier war die Pianistin in ihrem Element, jagte die Klaviatur hinauf und herunter, hämmert die Akkorde in den Flügel und gestaltete die gewaltige, hochkomplexe monumentale Schlußfuge mit großer Virtuosität. Tosender Applaus, Blumen für die fabelhafte Lisa de la Salle, die sich mit einem gefühlvollen Chopin und einem geschwinden Rachmaninow beim begeisterten Publikum bedankte.
 
Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und die Klavierfreund*innen gingen, in leisen Gesprächen Nachlese haltend, vom Musenhügel hinunter in die Stadt, deren Lärm und Geräusch von Schritt zu Schritt den Zauber des Abends vertrieb.