Ziemlich schöngefärbt

„Die Frau, die vorausgeht“ von Susanna White

von Renate Wagner

Die Frau, die vorausgeht
(Woman Walks Ahead - USA 2017)

Regie: Susanna White
Mit: Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Ciarán Hinds, Sam Rockwell u.a.
 
Es ist eine „wahre Geschichte“, aber wahr à la Hollywood, das heißt, daß eine Begebenheit, die einen mehr als harten Kern hat, beschönigt auf der Leinwand erscheint. Immer mehr Menschen in den USA sind bereit, das Unrecht (ein viel zu schwaches Wort!!!) an der indianischen Urbevölkerung zuzugeben („Indians“ darf man dort nicht mehr sagen, es sind „Native Americans“, was einen Fortschritt darstellt). Und im Zuge von „#metoo“ ist jede wackere Frau, die sich der Männerwelt entgegenstellt, eine potentielle Heldin. Wenn ein solcher Film nun von dem Sioux-Häuptling Sitting Bull handelt (dessen Namen jeder kennt) und von einer schönen, jungen, emanzipierten Malerin, die sich als Weiße auf die Seite der Schwachen stellt… dann ist das eine gute Sache. Aber, wie gesagt, ziemlich schöngefärbt.
Die historische Malerin und politische Aktivistin Catherine Weldon, deren Vorgeschichte der Film nur sehr selektiv erzählt, war gebürtige Schweizerin und kam mit 12 Jahren in die USA, wo ihre Mutter sich neu verheiratete. Man erlebt sie, als sie verwitwet und reich in das Dakota-Territorium reist – im Kino mit der Absicht, Sitting Bull zu malen, der die Weißen 1876 in der Schlacht am Little Big Horn so vernichtend (aber letztlich folgenlos) geschlagen hatte und in der Folge mit Buffalo Bill in Wildwest-Shows auf „Tournee“ gegangen war (was hier wohlweislich verschwiegen wird). Weldon begegnete Sitting Bull und nahm – leidenschaftlich engagiert für die Rechte der Indianer – einen wichtigen Platz an seiner Seite ein, bis zu seiner Ermordung im Jahre 1890.
 
Im Kino liefert die englische Regisseurin Susanna White (daß sie einen der „Zauberhafte Nanny“-Filme gedreht hat, prädestiniert sie nicht gerade für einen politischen Film) eine doppelte Romanze. Zuerst jene der tapferen Frau, die sich entschlossen in den „Wilden Westen“ vorkämpft: Gewiß, Jessica Chastain spielt sie, und sie ist bekanntlich trotz ihrer optischen Zartheit ein darstellerisches Schwergewicht. Sie macht allein ein Kunststück daraus, wie sich in dieser Reise voll von Widerständen (die vor allem von Männern kommen, die sie bei jeder Gelegenheit brutal abblitzen lassen) die wohlgepflegten Löckchen und die elegante Kleidung ramponieren. Nein, man will sie da nicht, diese verdächtige Dame im Indianerreservat, wo die Weißen mit eiserner Hand ihr Unterdrückungsregime ausüben und dabei von keinerlei Beobachtern gestört zu werden wünschen.
 
Das vielleicht interessanteste Detail des Films bezieht sich auf jene Indianer (wir wollen wagen, sie so zu nennen), die nicht in schweigendem Widerstand für sich leben, sondern mit den Weißen kollaborieren – aber, wie man sieht, nur scheinbar. Ja, sogar der harte Kommandeur des Stützpunkts (Ciarán Hinds) hat eine indianische Frau, die schweigsam und gehorsam ist und erklärt, es werde nicht unterstützt, die einheimischen Indianersprachen zuzulassen. Und doch bekommt man Gelegenheit zu sehen, wie sie wirklich denkt. Oder jener Chaske (Chaske Spencer), der für die Weißen arbeitet, von ihnen vermeintlich als Spion bei den Indianern eingesetzt wird – und dabei ist es das genaue Gegenteil: Er „spioniert“ für Sitting Bull die Besatzer aus, und weil er auch noch dessen Neffe ist, ermöglicht er, was alle vermeiden wollen: Daß Catherine Weldon tatsächlich Sitting Bull trifft – den sie in scheinbarer Zurückgezogenheit am Kartoffelacker findet…
Nun, nachdem die ersten Schwierigkeiten der ambitionierten Frau mit den bösen Männern überwunden sind (Sam Rockwell als Colonel Groves spielt einen besonders zynischen), darf es den üblichen Kinoweg gehen, auch weil Sitting Bull (Michael Greyeyes) hier ein attraktiver Mann in den besten Jahren ist und dem langsamen Aufblühen einer Romanze nichts im Wege steht: Daß die beiden im wahren Leben schon ältliche Leute und mitnichten das waren, was wir als gut aussehend empfinden würden, das hätte wohl kaum eine dramatisch-triefende Filmstory ergeben…
Immerhin, in der weißen Lady und dem indianischen „Chief“ und Magier seines Stammes, auch wenn er sich scheinbar zurückgezogen hat, nähern sich verschiedene Welten an, das heißt, vor allem lernt sie, die seine zu begreifen. Anfangs will sie, was in der Weite der Prärie Wahnsinn ist, nicht reiten, weil sie als Kind einen Pferde-Schock davontrug. So schreitet sie entschlossen vor dem reitenden Sitting Bull aus, was den Filmtitel von der „voran gehenden Frau“ erklärt – bis sie begreift, daß man so in dieser Welt nicht leben kann und sich auf ein Pferd (ein sanftes Zirkuspferd) schwingt.
 
Wenn der Film auch nicht vergißt, die Sache der Indianer zu vertreten, wenn auch den Argumenten auf beiden Seiten etwas Raum gegeben wird (die Weißen hatten jeden Grund, die Grausamkeit der „Rothäute“ zu fürchten), so ist dieser Existenzkampf, um den es geht (und der so traurig verloren wurde), nur schmückendes Seitenmaterial des Films. Letztlich bekommt man romantischen Exotismus vorgesetzt, mit Blut und Grausamkeit dekoriert, und mit einem naturgegeben tragischen Ende (denn letztendlich ließ man Sitting Bull skrupellos ermorden). Nur dumm, daß man sich weniger über das Geschehen empören als mir Mrs. Weldon traurig sein soll.
 
Trailer    
 
Renate Wagner