Lust auf lauter Lyrik

Der "Conrady" jetzt für Hörer auf CD

von Frank Becker
Ein sehr großer Kessel Buntes

Die deutschsprachige Lyrik ist dank unserer wunderbaren Sprache und ihrer Dichter eine der schönsten Gattungen der Weltliteratur. Unter den Anthologien deutscher Lyrik, deren Zahl Legion ist, hebt sich eine heraus, die allein durch ihren Umfang, aber auch durch die gelungene Auswahl besonderen Rang hat: der "Conrady". Ich wüßte kaum einen Lyrik-Freund, in dessen Regal neben den Klassikern "Echtermeyer/von Wiese", Ludwig Reiners´ "Der ewige Brunnen", Holthusen/Kemps "Ergriffenes Dasein" und Kurt Pinthus´ "Menschheitsdämmerung" nicht auch der 1977 erstmals bei Athenäum aufgelegte großvolumige "Conrady" stünde - ein schier unerschöpflicher Quell der Freude und Erbauung.

Schon seit langem lesen bzw. lasen namhafte Sprecher, nennen wir hier nur Gert Westphal (1920-2002), O.E. Hasse (1903-1978), Günter Lüders (1905-1975), Will Quadflieg (1914-2003) und Karl Michael Vogler Lyrik für Plattenproduktionen. Kleinere CD- Antholgien sind in Fülle vorhanden, Fließbandproduktionen wie die von Lutz Görner überschwemmen geradezu die Regale des Genres. An eine umfassende Hör-Anthologie hatte sich bis dato jedoch noch kein Verlag gewagt. Das ändert sich jetzt mit einer Vertonung des "Conrady" unter Mitwirkung eines erlesenen Kreises von Sprechern und Schauspielern. Schaut man sich die Besetzungsliste (siehe Spalte rechts) an, zergehen dem Kenner die Namen auf der Zunge. Da ist wirklich die Creme aufgeboten.

Doch ist (ich spreche hier nur von "Lust auf lauter Lyrik", der Start-CD des Projekts) nicht immer das Optimum erreicht worden, hört man sich das Ergebnis an. Die Interpretation in Versmaß, Metrik und Intonation ist eine diffizile, eine hohe Kunst, zu der man mehr als eine geschulte Stimme braucht. Selbst unter den besten Schauspielern und Sprechern finden sich nur wenige, die diese delikate Disziplin perfekt beherrschen. Andreas Möckel zum Beispiel ist ein solcher Könner, wie unlängst bei der Präsentation der Reclam-Anthologie "Herz-Gedichte" bewiesen (leider nicht auf CD). Lyrik heißt doch nicht grundsätzlich Leiden oder Anklage, jedoch allzuoft verfallen hier die Sprecher in betuliche Düsterkeit, versäumen die Stimmungen, den hohen Klang der interpretierten Werke, wenn auch in der Mehrzahl den Gedichten Gerechtigkeit widerfährt. Nennen wir hier nur einige der brillante Beispiele: Jürgen Hentschs Interpretationen sind ebenso durchweg Genuß wie die Hanns Zischlers und Sandra Hüllers, Christian Brückners "Schlesische Weber" und "die mauer" packen mit Dramatik, Matthias Habich beeindruckt kantig, Sophie Rois zeigt pfiffige Variablen.

Herausgeber Karl Otto Conrady, der die letzten drei Beiträge der CD selber lesen darf, entledigt sich der Aufgabe mit dem gleichen Anstand wie
Corinna Kirchhoff, Alexander Khuon, Samuel Weiss und Rosel Zech, die jedoch gemessen an ihrer hohen Vorgabe weniger inspiriert eher Routine zeigen. Nr. 50 "Roma aeterna" ist übrigens dem falschen Sprecher zugewiesen, tatsächlich liest Hanns Zischler. Dennoch: wer nicht immer selber lesen mag oder sich mitunter ein wenig akustische Unterstützung wünscht, ist mit dem Hör-Conrady, zumal bei einem Preis von unter 100,- € sicher sehr gut bedient.

Beispielbild

Lust auf lauter Lyrik
Der Hör-Conrady

© + (P) 2008 ARD und Patmos

Die Auftak-CD enthält 64 Gedichte, gelesen wie das Gesamtwerk von namhaften Sprechern: Donata Höffer, Corinna Kirchhoff, Sophie Rois, Rosel Zech, Christian Brückner, Matthias Habich, Jürgen Hentsch, Jürgen Holtz, Sandra Hüller, Alexander Khuon, Ulrich Matthes, Sebastian Rudolph, Samuel Weiss und Hanns Zischler.

Dauer:  1:12.49

Das Gesamt-Projekt präsentiert auf 21 CDs und  zwei MP 3-CDs 1100 Gedichte aus 1200 Jahren von mehr als 460 Dichterinnen und Dichtern

Weitere Informationen unter:
www.patmos.de