Seh-Reise (25)

Fünfundzwanzigste Ausfahrt: Pieter Bruegel d.Ä.

von Michael Zeller

Michael Zeller - Foto © Frank Becker
Michael Zeller: Seh-Reise (25)
 
Mit Bildern durch das Jahr
 
25. Ausfahrt: Pieter Bruegel d.Ä.

So richtig kalt will es dem Betrachter in der holländischen „Winterlandschaft“ des Pieter Bruegel d.Ä. (gelegentlich auch Pieter Brueghel d.J. zugeschrieben, was aber fraglich ist) gar nicht werden. Dieser Winter hat etwas durchaus Warmes. Im hellen Goldbraun des breiten Flusses, auf dessen Eisfläche das Leben des Dorfes sich ausbreitet, ist die Sonne dieses Tags gespeichert. Das Leuchten im Eis täuscht Wärme vor, und die Augen machen das gerne mit.
Und die, die sich an der Sensation erfreuen, daß ihr Fluß zu festem Grund geworden ist, auf dem man stehen und gehen kann, sie frieren nicht. Kinder sind es überwiegend, die das Eis als Kulisse ihrer Spiele nutzen: Sie lassen die Kreisel darauf tanzen, schlagen den Puck, üben sich im Eisstockschießen, schlittern, rutschen, gleiten, auch mit Skiern. Sie sind auf dem Eis in ihrem Element, ihnen ist warm genug. Die Freuden eines eiskalten Winterstags sind ungebrochen auf dem Fluß.
Auch die Bauernhäuser zu beiden Seiten der Eisfläche sind aufgeladen vom Sonnenlicht: Der Backstein des Gemäuers in rötlich glühendem Ocker strahlt ebenfalls Wärmendes ab. Und der Schnee auf den steilen Dächern hüllt die Behausungen der Menschen ein – mit einer Decke, im vorgeprägten Bild der Sprache. Schutz eher als Bedrohung.
Doch abseits des aufheizenden Treibens der Menschen auf dem Eis, auf der rechten Bildhälfte, zeigt der Wintertag in Holland ein anderes Gesicht – sein eigentliches? Hier, in der toten Natur von Baum und Strauch, herrscht Kälte. Was den Kindern nebenan Anlaß ist zur Freude, Aufforderung zu Spiel und Übermut - einen Schritt weit entfernt davon die Zone des Todes. Hier sind Mangel und Not zu sehen, der Hunger. Die schwarzen Krähen, aufflatternd oder im leeren Gezweig, sind getrieben von der Suche nach Nahrung, eine Suche, die für die Vögel, die unten rechts im Bild unter der hölzernen Falle im Schnee picken, mit dem Tod enden kann. Alles, was sie zum Leben/Überleben brauchen, ist weggenommen vom Schnee, und der Mensch stellt ihnen zu allem Übernoch nach. Der einsame Vogel rechts oben, allein auf nacktem Zweig, schaut abgekehrt aus dem Bild heraus in ein anderes Gelände. Hier bekommen das Grau und Rosa des Himmels einen Gefühlswert, daß es dem Betrachter kalt wird ums Herz, eiskalt. Das schwarze Tier in seinem Hunger als ein Bote des Todes.


Pieter Bruegel d.Ä. - Winterlandschaft mit Vogelfalle, 1601

Die „Winterlandschaft“ des Pieter Bruegel hing einmal in Rom, einer Stadt, die Schnee nur selten erlebt, als ein eher exotisches Naturereignis, für zwei, drei Tage allenfalls. Der Käufer aus dem römischen Adel wird das Winterbild von Bruegel mit ganz anderen Gefühlen erworben haben als jemand in den nördlichen Regionen Europas. Die Kälte, die die holländischen Krähen auszuhalten haben, am Rand des Überlebens, kennt er gar nicht. Das Grauen wird den Römer dabei angewandelt haben, das sich bei mittleren Temperaturen wohlig genießen läßt, als etwas, vor dem man sich selbst sicher wähnt. Heute hängt das Bild im Kunsthistorischen Museum Wien.
 
Pieter Bruegel d.Ä., Winterlandschaft mit Vogelfalle, Kunsthistorisches Museum Wien

Redaktion: Frank Becker