Weltflucht mit Übertiteln

Vitale „Glasmenagerie“ in Wuppertal glänzt mit (Selbst-)Ironie

von Martin Hagemeyer

v.l.: Julia Wolff, Lena Vogt, Konstantin Rickert - Foto © Uwe Schinkel

Weltflucht mit Übertiteln

Vitale „Glasmenagerie“ in Wuppertal glänzt mit (Selbst-)Ironie
 
Die Glasmenagerie. Ein Spiel der Erinnerungen von Tennessee Williams
 
Inszenierung: Martin Kindervater - Bühne und Kostüme: Anne Manss – Dramaturgie und Produktionsleitung: Peter Wallgram  Regieassistenz: Jonas Willardt – Inspizienz: Charlotte Bischoff. – Fotos: Uwe Schinkel
 
Besetzung: Amanda Wingfield: Julia Wolff – Tom Wingfield: Konstantin Rickert – Laura Wingfield: Lena Vogt – Jim O’Connor: Alexander Peiler
 
Die Glasmenagerie“ ist ein sentimentales Stück – das findet sogar eine Figur im Stück selbst. Ihr Text ist auch voll mit ausufernden Details – daß auch dies ihm früher eher mißfiel, hat Intendant Braus vorab zugegeben. Und doch bringt sein Schauspiel Wuppertal es auf die Bühne. Das gelingt Regisseur Martin Kindervater so toll, weil ständig Ironie das Sentiment begleitet.
 
Das Bühnenbild von Anne Manss, so liebevoll wie schlüssig, bringt einen Metallcontainer als Mikrokosmos. Ausgestattet ähnlich wie seine drei Bewohner: nicht ohne Ordnung, aber schräg. Ein Schlitten, ein Flamingo sind zwischen Tisch und Couch zu finden. Mutter, Tochter, Sohn bilden hier eine Hausgemeinschaft. Gezwungen zwar, aber doch eine Gemeinschaft, weil sich die Einzelnen aufeinander beziehen. Man sorgt sich, und man kennt sich. Daß Laura labil ist, weiß ihr Bruder, Tom. Und daß sie endlich einen Mann braucht, davon ist ihre Mutter beseelt, Amanda. Amanda wiederum ist ebenso versehrt wie raumgreifend, seit ihr Mann sie vor Jahren plötzlich verließ und in die Welt zog. Die Kinder, es war ihr Vater, wissen das alles natürlich.


Parterre.: Julia Wolff; oben: Lena Vogt, Konstantin Rickert - Foto © Uwe Schinkel

Überall ist nachzulesen, daß alle drei Hauptfiguren der „Glasmenagerie“ in eine Traumwelt fliehen. Heute sind es aber nicht weniger als drei Traumwelten, und jeder Darsteller macht seine Version komplett plausibel. Als da wären: Amandas Wunde ist das Trauma der Trennung. Der treulose Ex sitzt ihr im Nacken (heute statt Bild sogar als plastische Figur im Rahmen). Und doch gibt Julia Wolff sie im Grunde gefestigt: Die Kränkung bleibt real, aber sie ist Teil ihrer Persönlichkeit geworden. Extrovertiert in Reinkultur läßt ihre Amanda selbst schmunzeln, wenn sie Schlimmes erzählt, als prahlte ein Veteran mit seiner Kriegsverletzung: „Damals hatte ich den ganzen Frühling Malariafieber!“ Der Kommentar sitzt mit am Tisch: Ihre Kinder witzeln und uzen, wenn sie zum x-ten Mal ihre Verehrer aufzählt, wie sie reich wurden oder wo sie ertrunken sind. Und die Pantomime der Geschwister läuft mit als Kommentar zum Spleen der Mutter, als ziemlich spaßiger Übertitel.
Tom behält den Überblick, schon ab dem Vorspiel, das Bände spricht: „Ich hab ein paar Zaubertricks auf Lager“ heißen texttreu die ersten Worte, aber Konstantin Rickert sagt sie auf – dem Containerdach, im Batmans-Kostüm und mit einer Stimme, als würde ein Star sich selbst synchronisieren. Maskerade, jahrelang: Er weiß, wovon er redet, denn auch er betreibt sie ja. Sein Fluchtort ist das Kino, und diese Welt ist es ja, die die Regie famos als Bogen nutzt. Später dann erstaunt, wie ernsthaft diese Figur auch klingen kann, wie Rickert sie klingen läßt: Überzeugend und mal gar nicht schräg erwehrt er sich Mutters Übermacht – bis hin zum Vergleich mit dem Vater: „Wenn ich nur an mich selbst gedacht hätte, wäre ich doch längst da, wo er ist: Weg!“


v.l.: Julia Wolff, Lena Vogt - Foto © Uwe Schinkel

Lena Vogts Laura schließlich ist ambivalenter und muß es auch sein. Der Schnitt hin zur fatalen Feierszene, in der sie und Besucher Jim sich vorsichtig annähern, was letztlich nur Enttäuschung und Zusammenbruch bringt: Er ist recht scharf. Doch so will es die Handlung – wird doch Jims Eingeständnis, verlobt zu sein, sie in tiefe Depression stürzen. Und in beiden Facetten läßt Vogt klar dieselbe Figur erkennen. Zuvor jedenfalls bricht sie Toms Phantastereien nicht so anders als beide die der Mutter: Der Bruder schwadroniert von Kino, von einem Zauberer, der Wasser in Whisky verwandelt, und Laura nickt mehr amüsiert als beeindruckt. Auch sein Gespinne kennt sie ja.
Jim selbst schließlich ist nicht wirklich Vierter im Bunde: Er kommt ja nur kurz in den Kosmos, stört ihn und verschwindet wieder. Alexander Peiler zeigt ihn aber weder als Dämon noch Deus ex machina – er ist bloß von allen der Normalste. Ein schöner Fall der Filmästhetik des Abends: Er und Tom mal wieder auf dem Container, rauchend, mit Cowboyhüten und in kargem Einvernehmen. Als ließen zwei Freunde die Welt Revue passieren: die Wildnis, die Familie und all das. Gibt es einen Western „Two Mates on the Roof“? Wahrscheinlich nicht, aber die Szene ersetzt ihn. „Ein Spiel der Erinnerungen“, wie Tennessee Williams es nennt? Diese Inszenierung spielt auch Varianten von Gegenwartsflucht durch – so ernst wie spielerisch. Ein runder Theaterabend.
 
Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de