Falsch gedacht. Es kann trotzdem schiefgehen...

„Dolmetscher“ von Martin Sulík

von Renate Wagner

Dolmetscher
(The Interpreter - Slowakei, Tschechien, Österreich 2018)

Regie: Martin Sulík
Mit: Peter Simonischek, Jiří Menzel u.a.
 
Da reisen und reisen sie im Kino in die unbewältigte Vergangenheit. Vor einiger Zeit war es Jürgen Prochnow in „Leanders letzte Reise“, der in der Ukraine die Tochter suchte, die er in seiner Zeit als deutscher Besatzungsoffizier gezeugt hatte. Nun ist Peter Simonischek unterwegs, um zu sehen, wo sein Vater im Krieg in der Slowakei Juden erschießen ließ… Nicht immer bringen diese Kino-Fahrten wirklich etwas, und diese, die sich – vom Ausgangspunkt der Geschichte her – „Dolmetscher“ nennt, noch weniger als andere.
Ärgerlich ist eigentlich, daß die ganze Sache dramaturgisch so wackelt, daß man sich gar nicht wirklich darauf einlassen will. Wenn ein 80jähriger (!) Jude an einer Wiener Wohnungstür läutet und den SS-Offizier sucht, der seine Eltern erschießen ließ, dann ist es nicht sehr logisch, einen mindestens hundertjährigen Täter zu suchen. Und dann gleich den Sohn, der ihn wegschicken will, als Antisemiten und Nazi-Schwein zu beschimpfen.

Immerhin, die beiden – Ali Ungar, der slowakische Dolmetscher, und Georg Grabner, der pensionierte Wiener Lehrer – kommen dann doch zusammen in ihrem Road Movie in Ungars Heimat, wo es dann zwei sexy Ostblock-Damen gibt (samt Massage in einem Kurort, was den Österreicher freut, den Slowaken ärgert) und wo sich die Verwicklung, daß Grabner seine Sachen gestohlen werden, auf die seltsamste Weise löst: Denn danach, als die Polizei ihm Dokumente und Jacke zurückgibt, hat er plötzlich mehr Geld als je zuvor, obwohl die Mutter des Jungen diesen nur mit ein paar Scheinen „freigekauft“ hat. Die Schlampigkeit des Drehbuchs, die überall durchschimmert, erweist sich auch innerhalb ein- und derselben Szene, wo Grabners Sohn erst in London, dann in Linz geortet wird…
 
Zwischendurch gibt es noch einen sinnlosen, Zeit schindenden Flirt in einer Bar, und es dauert, bis die Geschichte zum Thema kommt – die Tochter des Dolmetschers ist kritisch, Details wollen Überraschungen bieten (etwa das Eingeständnis, daß es Slowaken gab, die den Deutschen gern zur Hand gingen, wenn es sich darum handelte, Juden zu erschießen), aber auch das ist nicht neu, und was bringt letztendlich von der alten Erkenntnis der Mitschuld, die es überall gab?
Daß die Briefe des Mörders an die Familie einen sympathischen, sensiblen Mann zeigen – auch diese Janusköpfigkeit ist oft beobachtet worden, daß die Deutschen liebevoll ihre Kinder und Hunde streichelten und am Klavier sensibel Beethoven spielten, um dann hinaus zu gehen und ohne zu zögern Juden zu erschießen. Das ist immer schrecklich, aber längst kein Thema mehr, das neues Licht auf die Dinge werfen könnte.
 
Der Dolmetscher kommt nach einem Anfall ins Spital, der Lehrer kehrt heim, siehe da, der hundertjährige Vater liegt in einem Spitalsbett in der Wohnung (!) und der Sohn spielt ihm auf DVD Aussagen von Opfern vor (als ob diese halbe Leiche noch etwas begreifen könnte) und legt ihm einen Revolver hin – zum Selbstmord???
Wenn der Lehrer am Ende dann, nochmals allein zurückkehrend, an jenem Ort sitzt, wo die Erschießung der Juden auf Vaters Befehl stattgefunden hat… dann ist das die Betroffenheitsgeste, die wohl dazu gehört: Warum er davor in einem Hotelzimmer die Fotos von den jüdischen Leichen verbrannt hat, paßt aber eigentlich auch nicht ins gedankliche Konzept. Was jetzt? Weg mit der Vergangenheit?
 
So paßt die Geschichte von hinten und vorne nicht, so gut sie auch gespielt sein mag – wenn man auch einwenden kann, daß „der Lebensfrohe“ und „der Zerstörte“ als Typen für große Schauspieler nicht so schwer hinzukriegen sind. Doch ja, für die Alterskarriere des Peter Simonischek ist das wiederum eine schöne Rolle, und Jiří Menzel an seiner Seite mit dem humorlosen Gesicht und den Augen voll Schmerz ist eine tolle Erscheinung. Aber was der Film hätte erzählen wollen – Drehbuch und Regie von Martin Sulík machen es wahrlich nicht klar. Da wurde wieder einmal spekuliert: „Wähle das richtige Thema, und es kann nichts passieren.“ Falsch gedacht. Es kann trotzdem schiefgehen.
 
 
Renate Wagner