Das Alter

Aus dem Zettelkasten

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Aus meinem Zettelkasten
 
Alter, Das: Wenn man jung ist, versucht man älter zu wirken als man ist, und wenn man alt ist, ist es umgekehrt. Es ist leichter älter zu erscheinen, als jünger zu wirken. Will man älter wirken, muß man manchmal nur böse gucken. Alles ist Schein und Geschwindigkeit. Wenn man alt ist, sind alle entrüstet, daß man sich nicht auskennt mit Smartphone und Online Banking, aber ich erinnere mich noch gut, daß andere diese Verweigerung, als man jung war, cool fanden. Zum Glück ist es mit Sechzig egal, ob man mit Zwanzig mal schön gewesen ist. Gibt es eigentlich Anzeichnen dafür, daß man irgendwann zu den Senioren gehört? Man merkt, daß man alt geworden ist, wenn man einen uralten Mann trifft, der dann jünger ist als man selbst und einem auch noch Tipps geben will, wie man sich fit halten kann und man immer noch denkt, daß „Tipps“ mit einem „p“ geschrieben wird und dabei an einem Strohalm zieht, der in einer Capri-Sonne steckt, die inzwischen Capri-Sun heißt und der Strohhalm ist auch nicht mehr aus Stroh. Du bist alt, wenn dein Sohn dich nicht mehr bittet, bei seiner nächsten Party die Musik aufzulegen um für Gute Laune zu sorgen, obwohl du alle Scheiben von Bob Dylan im Regal stehen hast. „Knock knock knocking on heavens door.“ Man ist alt, wenn man beim Italiener immer das gleiche bestellt, weil man die Speisekarte nicht mehr lesen kann und wenn man dann endlich eine Brille dabei hat, trotzdem wieder nur Pizza Tonno isst, weil man die schon immer geordert hat. Sagt man eigentlich noch „Alter Mann ist kein D-Zug und eine alte Frau kein Kanapee“? Man ist alt, wenn man bei Herrn Weyher eine Senioren-Buchstabensuppe bekommt, in der die Nudeln so groß sind wie das Brandenburger Tor, damit man erkennen kann, worauf man zu kauen hat. „Buchstabensuppe ist gut, also ich sehe hier nur `n „M“ drin. Ich sehe hier nur `n „M“ drin, oder wollen die, daß ich dauernd „Mhm“ sage, damit alle denken, mir würde die Suppe schmecken?“ Man ist alt, wenn man wieder Suppen schlürfen darf, weil alle froh sind, daß man überhaupt was isst. Und du denkst: „Warum gibt es kein Schlürfrecht für Genießer?“ Weil das Schlürfen neben dem Rülpsen und Pupsen zu der Trilogie der Körpergeräusche gehört, die man in Beisein von Dritten vermeiden soll. Natürlich haben auch alle Angst, daß der, der schlürft, auch noch anfängt seinen Teller abzulecken, damit es am nächsten Tag schönes Wetter gibt. „Wir haben als Kinder immer den Teller abgeleckt, um unserer Mama das Spülen zu ersparen. Erst später hat sie uns gestanden, die abgeleckten Teller heimlich gewaschen zu haben, damit sie nicht in die Hölle kommt, und wir wussten seitdem, daß alles nur Lug und Trug ist. Es gibt keinen Osterhasen, kein Christkind, und Cola ohne Zucker schmeckt auch nicht.“ Und dabei warst du dir gerade sicher, daß es doch eine Zahnfee gibt, die nicht nur die ersten Zähne holt, sondern auch die letzten entsorgt. Und du hattest ihr schon eine Packung „Merci“ besorgt, damit Du mal „Danke“ sagen kannst. Ich stelle mir das nicht als Traumjob vor, wenn man die Zähne anderer Leute entsorgen muß, gerade, wenn es die letzten sind. Man ist alt, wenn man sich nur noch Pornofilme anschaut, weil man der Handlung halbwegs folgen kann. Man ist alt, man ist ur-uralt, wenn man „Ring Ring“ macht, um ein Telefon nachzumachen. Ein Telefon macht doch heute nicht mehr„Ring Ring“. Ein Telefon hat noch nie „Ring Ring“ gemacht. Ein Hund macht ja auch nicht WAU WAU, außer es sind Kinder in der Nähe, die er nicht enttäuschen will. Der Storch bringt ja auch nicht mehr die kleinen Kinder. Eine Geburtsabwicklung, die übrigens deutliche Vorteile gegenüber der heutigen Methode hatte. Sie entlastete die Mutter und das Gesundheitswesen. Man ist alt, wenn einem jeder freudestrahlend erklärt, daß dman dich überhaupt nicht verändert hat, und einem dieses „überhaupt nicht verändert“ ganz laut und langsam ins Ohr geschrien wird: „Du hast dich überhaupt nicht verändert!“ Sind vielleicht alle wahnsinnig geworden und bemerken nicht, daß du inzwischen eine Brille trägst und weißes Haar bekommen hast? Man merkt, daß man alt geworden ist, wenn alle, die dein Alter schätzen wollen, einen zehn Jahre jünger machen; als wenn einem das was bedeuten würde, wenn man ihn zehn Jahre jünger hält. „Haltet mich für 40 Jahre jünger, dann würde ich eure Schmeicheleien ernst nehmen.“ Und manche haben sogar „Wow“ gemacht, als du ihnen dein wahres Alter gebeichtet hast, weil sie hofften, daß dieses „Wow“ in deiner Jugend mal als Verwunderungslaut angesagt war, wenn man etwas für unglaublich gehalten hatte, wie Romy Schneider, Sydne Rome oder Gila von Weitershausen im Bikini. Man ist alt, wenn man plötzlich den Liedern seiner Eltern, den Schlagern von damals, etwas abgewinnen kann und sogar findet, daß Bob Dylan und Drafi Deutscher inhaltlich gar nicht so weit auseinander liegen. Daß Drafi nur Bobs „Knock knock knocking on the heavens door“ in seinem Hit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ mit einem schlichten „Dam Dam“ total auf den Punkt gebracht hat. Steht nicht „Dam Dam“ sogar in der Nachfolge der schönsten Ideen der konkreten Poesie? Wissen sie, woran man merkt, daß man alt geworden ist? Wenn man so sonderbare Krankheiten hat, daß man deren Namen nicht mehr aussprechen kann, obwohl alles „aua“ macht. Der Schmerz bleibt jung. Man ist alt, man ist alt, man ist ur-uralt, wenn der Hausarzt vor einem stirbt. Ist er geflohen? War er es nicht, der dir durch seine gesunde Lebensführung ein Vorbild war. Ist „gesund leben“ nur was für Langweiler? Machen wir uns nichts vor, man ist alt, wenn auf dem Tisch mehr Medikamentendöschen stehen als Äpfel, weil man die nicht mehr essen darf und der eigene Arzt gesagt hat, er würde auch nur noch Apfelkompott essen, weil ihm das besser bekommen würde und man denkt, ich habe doch gar nichts gemacht. Ich habe doch gar nichts gemacht. Ich habe mir nie was zuschulden kommen lassen und nun soll ich Apfelkompott essen? Ich ess` doch keinen Apfelkompott und stochere in einem Boskopbrei herum. „Einen Löffel für meinen Hausarzt, einen Löffeln für meinen Hals-Nasen-Ohren-Arzt, einen Löffel für meinen Zahnarzt, einen Löffel für meinen Hautarzt, einen Löffel für meine Krankengymnastin.“ Das Leben ist ein Überlebenskampf. Ich stehe doch nur noch auf, damit ich abends wieder schmerzfrei ins Bett komme. Wenn ich einen Apfel essen will, dann will ich es knacken hören und das sollen nicht die Gelenke sein. Man ist alt, wenn einen keiner mehr zu Hause haben will, weil man Angst hat, du könntest bleiben. Man ist alt, wenn man träumt, daß man vor der Himmelstür steht und „Knock knock knocking on the heavens door“, zweimal klopft und es macht „Dam Dam“ und Petrus ruft „Herein“, und man sagt: Langsam, langsam mit den jungen Pferden. Alter Mann ist kein D-Zug.“ Und Petrus antwortet: „Und eine alte Frau kein Kanapee.“ Und du spürst, daß du zu Hause angekommen bist. Und du sagst: „Wissen sie, ich fühle mich nicht alt, weil ich schon als Jugendlicher die notgedrungenen Begleiterscheinungen des Alters als ideale Lebensform gepflegt habe.Nichts übereilen, behutsam handeln, mit allen teilen, auf Wolken wandeln, besonnen leben, demutsvoll danken, stets alles geben, und niemals wanken.“ Schließen sie nicht von meinem Äußeren auf meinen inneren Zustand. Mein innerer Schweinehund ist ein Kaninchen, und ein ganz gerissenes.“
 
 
© Erwin Grosche
 
Das „Weltlexikon“, das sich aus Erwin Grosches Zettelkasten speist, wird im Oktober im Bonifatius Verlag erscheinen.