Theaster Gates – „Black Madonna“

9. Juni – 21. Oktober 2018, Kunstmuseum Basel | Neubau & Gegenwart

Red.

Moneta Sleet 1965 - From the Archives of the Johnson Publishing
Company - Courtesy Theaster Gates
Theaster Gates
Black Madonna
 
In seiner ersten großen Einzelausstellung im Kunstmuseum Basel widmet sich Theaster Gates (*1973) dem Kult um die Ikone der Schwarzen Madonna. Die Ausstellung Black Madonna erstreckt sich auf zwei Gebäude des Kunstmuseums und umfaßt zahlreiche neue Arbeiten, die der Künstler aus Anlass der Ausstellung geschaffen und zum Teil in Auseinandersetzung mit der Sammlung des Kunstmuseums entwickelt hat. In Kooperation mit lokalen und internationalen Partnern wird ein vielseitiges, ausstellungsbegleitendes Eventprogramm angeboten.
Theaster Gates’ künstlerische Praxis umfaßt viele Genres und Materialien, von urbanen Interventionen über Performance bis zur Keramik. Seine Absicht ist es, den Abstand zwischen Kunst und Gesellschaft zu überbrücken und in Zusammenarbeit mit kulturellen und urbanen Gemeinschaften soziale, politische und spirituelle Veränderungen zu bewirken.
 
The Black Madonna: Nigra sum sed Formosa*
*Hohelied Salomos, 1:5 (Ich bin schwarz, aber gar lieblich).
 
Einer der Ausgangspunkte für das Ausstellungsprojekt in Basel war Gates' Interesse an Darstellungen schwarzer Madonnen: Die dunkelhäutigen Statuen und Bildnisse der Jungfrau Maria gehören bis heute zu den meistverehrten in Europa. Den im byzantinischen Stil gehaltenen Ikonen werden Votivgeschenke dargeboten, sie werden gekleidet und üppig geschmückt, in Schreinen bewahrt und in Prozessionen umhergetragen. Im Rahmen seiner Ausstellung Black Madonna befragt Theaster Gates diese faszinierende Figur auf ihre politischen, ästhetischen und metaphorischen Bedeutungsebenen hin.
Die Rezeptionsgeschichte schwarzer Madonnen ist komplex, nicht zuletzt aufgrund signifikanter historischer Wandlungen. Eine der wohl wichtigsten Zäsuren muß im 19. Jahrhundert gesetzt werden, als diese sakralen Objekte nicht mehr als schwarze Darstellungen Mariens, sondern als Darstellungen einer schwarzen Maria interpretiert wurden. Ursprünglich wurde die dunkle Hautfarbe als Marker von Authentizität, als Hinweis auf das hohe Alter und die mögliche Herkunft der Ikone aus dem Osten betrachtet, oder als Beweis der Jahrhunderte währenden Verehrung der Ikone angesehen, da man davon ausging, daß der Rauch abertausender Kerzen das Bildnis schwarz gefärbt hätte.
Zu Beginn des 20. Jahrhundert wurde die dunkle Farbe einiger Mariendarstellungen verstärkt als Hinweis auf Ethnizität und ‚Rasse‘ gewertet. In den USA hat die Schwarze Madonna im Verlauf des 20. Jahrhunderts als Ikone im Umfeld der Black Power-Bewegung ihren Auftritt. Sie ist ein
Beispiel für die Gratwanderung zwischen religiösem und politischem Diskurs, die viele kulturelle und Bürgerbewegungen in den USA kennzeichnet.
Theaster Gates‘ neue Arbeiten nehmen Bezug auf diese lange und komplexe Geschichte. Seine Idee der Black Madonna ist facettenreich und dabei äusserst persönlich gefärbt. Als Galionsfigur der Ausstellung vereint die Black Madonna Objekte, Installationen und Performances, wobei Fragen nach der Macht und der Verbreitung von Bildern und nach Konzepten und Rezeption von ‚Rasse‘ und Schönheit in den Fokus geraten.
Auf beinahe archäologische Weise nähert sich Gates der Kulturgeschichte dieses Symbols und schlägt zugleich eine alternative Genealogie vor. Im Rahmen der Ausstellung erweitert er den Wirkungskreis der schwarzen Madonna hin zur gegenwärtigen Bedeutsamkeit und transformativen Macht weiblicher Figuren in Politik, Gesellschaft, Popkultur und im Alltag. Auf diese Weise werden Michelle Obama, Aretha Franklin und Beyoncé zu zeitgenössischen Inkarnationen der Black Madonna.


Hair Styles 1965 - From the Archives of the Johnson Publishing Company - Court. Theaster Gates

Ein Projekt in drei Akten
 
Kooperationen mit Künstlern, Architekten, Wissenschaftlern und Musikern waren stets ein wichtiger Bestandteil von Gates‘ Arbeit. Dieser ganzheitliche Herangehensweise folgend hat das Kunstmuseum Basel ein vielfältiges Programm entworfen, das die Funktion des Museums als Erfahrungsort hervorheben soll. Die Ausstellung wird als Plattform für Kontemplation, Forschung, Debatten und Konzerte aktiviert. In der Absicht, noch enger mit Kollegen und Institutionen vor Ort zusammen zu arbeiten, haben Kunstmuseum Basel und Theaster Gates Projekte mit Institutionen wie dem Jazzcampus Basel, der Basler Papiermühle und dem Basler Münster ins Leben gerufen.
Das aus Performances, musikalischen Improvisationen, Aufnahmesituationen und Echtzeitaktivitäten bestehende Programm wird sich über die gesamte Dauer der Ausstellung erstrecken. Es ist auf dramaturgische Art und Weise strukturiert und besteht aus drei Akten. Mit dem ersten Akt – «The Opening» – feiert der Künstler mit seinen Kooperationspartnern die Eröffnungswoche der Ausstellung. Im Zentrum der Festivitäten steht das große Eröffnungskonzert von Theaster Gates und seiner Band, den Black Monks of Mississippi. Der zweite Akt, betitelt mit «Rituals and Meditations», wird aus Improvisationen, Proben und musikalischen Duetten bestehen, die in enger Zusammenarbeit mit dem renommierten Jazzcampus Basel entstehen. Der dritte Akt – «Dissemination and Propaganda» – bildet den Abschluß der Ausstellung und wird sich unter anderem in einer sonntäglichen Predigt manifestieren (eine Zusammenarbeit mit dem Basler Münster). Mit dieser symbolischen Geste soll die Ausstellung aus den Räumen des Museums «befreit» werden und damit über den Rahmen Institution hinausweisen.
Black Madonna ist ein mehrteiliges Projekt, aus dem Theaster Gates 2018 vier eigenständige, aber inhaltlich verwandte Austellungsprojekte für vier europäische Institutionen entwickelt. Black Madonna wird im Kunstmuseum Basel (9. Juni – 21. Oktober 2018), im Sprengel Museum Hannover (Kurt Schwitters Preis, ab dem 22. Juni 2018), in der Fondazione Prada, Mailand (September 2018 – Januar 2019) und im Haus der Kunst, München (ab Oktober 2018) zu sehen sein. Theaster Gates sagt über das Projekt: „The spirit of reproducibility and dissemination is very important in this project, made evident in the fact that these four venues will all show parts of the DNA of this idea of the Black Madonna. I’m very excited that this summer and fall, at the Kunstmuseum Basel, Sprengel Museum, Fondazione Prada and Haus der Kunst, I get to posit different kinds of questions, in very different places, to show the varying ways that I’m thinking about her.“


Dr. Martin Luther King jr. Funeral - From the Archives of the Johnson Publishing Company
- Courtesy Theaster Gates

Kunstmuseum Basel | Neubau
Reframing the Black Madonna
 
Theaster Gates gilt als passionierter Sammler von Archiven afroamerikanischer Kultur und zeigt im Kunstmuseum Basel | Neubau Teile des Archivs der Johnson Publishing Company. Das legendäre Unternehmen wurde von John H. Johnson 1942 in Chicago mit dem Ziel gegründet, die erste Monatszeitschrift ins Leben zu rufen, welche die Errungenschaften afro-amerikanischer Kultur in den USA öffentlich zelebriert. Dem Geschäftsmann gelang es, amerikanische Konzerne davon zu überzeugen, Anzeigen in seinen Publikationen zu schalten und mehr oder weniger eigenhändig den afro-amerikanischen Konsumentenmarkt zu schaffen. Seit über sechzig Jahren sind die Publikationen Ebony und Jet vitale Sprachrohre von Black pride in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Das Fotoarchiv von Johnson Publishing umfaßt ca. 4 Mio. Aufnahmen, von 1945 bis zum heutigen Tag. Die Fotografien zeigen historische Ereignisse und Schnappschüsse des Alltags, Persönlichkeiten, Berühmtheiten, Politiker sowie gewöhnliche Amerikaner. Im Fokus der Basler Ausstellung stehen 3000 Aufnahmen, die Gates aus dem persönlichen Archiv von Lynda Johnson Rice, der Tochter von John H. Johnson, auswählen durfte. Mit diesem Projekt will sich der Künstler gegen die Unsichtbarkeit von schwarzen Frauen als Protagonistinnen in der Geschichte der Fotografie zur Wehr setzen, er feiert sie und verleiht ihnen einen neuen Rahmen und Kontext. Ob sie einen herausfordernden Blick auf den Betrachter wirft oder mit Schulbüchern an der Brust einen Weg entlangeilt, für den Künstler ist jede Frau in diesem fotografischen Archiv eine rechtmässige Black Madonna. Nicht nur, weil es sich offensichtlich um Bilder schwarzer Frauen handelt, sondern weil sie Teil eines Prozesses sind, den Gates als «deification of the black body» bezeichnet, und weil sie als Werbeikonen in den USA weit verbreitet wurden, um gesehen, bewundert und imitiert zu werden. Dies war Teil von John Johnsons Strategie, in Zeiten harscher Segregation positive Bilder afro-amerikanischen Lebens in Amerika zu zeigen.


Corinne Bailey Rae 2018 - Photo © David Sampson - Courtesy Theaster Gates

Die Installation im Kunstmuseum Basel zitiert Prozesse der Aufbewahrung und verweist auf Gates‘ Begeisterung für Techniken der Präsentation im Herzen jeden Archivs. Ihrem originären unternehmerischen Kontext entnommen und befreit von den Seiten eines Hochglanzmagazins, werden die Fotografien zu Archivalien und zu Objekten mit kritischem Potenzial zugleich. Weit davon entfernt, die Logiken von Archiv, Museum und Werbung zu affirmieren, hinterfragt Gates diese mit ihren eigenen Mitteln. Spuren der Bildbearbeitung und Publikationstätigkeit bleiben auf den Fotografien sichtbar und entlarven die Hand, welche die Bilder beschnitten oder korrigiert hat, um dem Leser anschliessend eine vollkommenes Magazinbild zu präsentieren.
Im Dialog mit ausgewählten Werken aus der Sammlung des Kunstmuseums stellen die Fotografien zudem die lokale, politische und historische Logik einer eurozentrischen Museumssammlung in Frage. Für gezielte Interaktionen hat Gates jene Werke aus der Altmeistersammlung des Kunstmuseums ausgewählt, die mit dem Stereotyp der frommen und tugendhaften Maria brechen. Eine Wahl, die deutlich macht, daß die Madonna die künstlerische Imagination seit Jahrhunderten beschäftigt hält und diese zutiefst subjektiv ist.
 
Kunstmuseum Basel | Gegenwart
A Space to Create

Gates‘ künstlerische Praxis ist gleichermaßen von Skulptur und Performance geprägt. Beide Disziplinen wird der Künstler bemühen, um sein Konzept des «museum as temple or Black church» zu erkunden. Gates beschreibt die Werkstatt als Ort, der seiner Überzeugung am ehesten Ausdruck verleiht: «Sculpture and image production constantly remind us that immaterial power is connected to the material world. They both need each other, witness and host; flesh and word.» Diesem Credo folgend wird Gates das Kunstmuseum Basel | Gegenwart in eine Stätte von Produktion, Performance und Interaktion verwandeln.


Heidelberg Printing Press 2018 - Photo © David Sampson, Courtesy Theaster Gates

Auf beiden Stockwerken des Gebäudes agierend, wird Gates Werkstätten, unter anderem eine Druckwerkstatt, einrichten, die zugleich als Orte für Performances und Interventionen fungieren und die Besucher dazu einladen, an einer kollektiven, musikalischen, poetischen und spirituellen Erfahrung teilzunehmen. Die Vinyl Factory wird in einem temporären Aufnahmestudio vor Ort die musikalischen Sessions aufnehmen und so zu einem Teil der Performance werden, indem sie die gespielten Sets als musikalisches Archiv der Basler Erfahrung aufbewahrt und Gates‘ Interesse am Archiv, an der Bibliothek und an der Sammlung vertieft.
Bereits im Vorfeld der Ausstellung finden zwei Masterworkshops mit dem Jazzcampus Basel statt. Gemeinsam mit den Studierenden und den Black Monks of Mississippi hat Theaster Gates musikalische Variationen zum Themenkomplex Black Madonna erarbeitet. Über die gesamte Laufzeit der Ausstellung sollen die Ausstellungsräume durch die Musikerinnen und Musiker des Jazzcampus aktiviert werden. Das Museum verwandelt sich in einen öffentlichen Probe- und Konzertraum.
Gates‘ Ziel, Kunst und Gesellschaft miteinander in Beziehung zu setzen und das Herstellen von Objekten als soziale Intervention zu betreiben, erinnern an die Arbeiten des deutschen Künstlers Joseph Beuys. Das Kunstmuseum Basel | Gegenwart zeigt eine ständige Installation des Künstlers im zweiten Stockwerk. Das Bindeglied zwischen den Ideen beider Künstler ist die starke Verbindung zwischen Kunst und Leben und deren sozialen und politischen Projekten.

Theaster Gates - Black Madonna
9. Juni – 21. Oktober 2018, Kunstmuseum Basel | Neubau & Gegenwart
Kuratoren: Josef Helfenstein und Søren Grammel
 
Vernissage: Montag, 11. Juni, 18.30 Uhr
Kunstmuseum Basel | Neubau, St. Alban-Graben 16, 4052 Basel