Jenseits jeglicher Beschönigung

„The Happy Prince“ von Rupert Everett

von Renate Wagner

The Happy Prince
(GB-Belgien-Deutschland-Italien 2018)

Regie: Rupert Everett
Mit: Rupert Everett, Colin Firth, Emily Watson, Tom Wilkinson, Colin Morgan u.a.
 
Die Faszination, die Oscar Wilde auf die Nachwelt ausübt, kennt auch bei Filmemachern kein Ende. Kein Wunder, es ist auch ein Schicksal, das es an Dramatik und extremen Höhe- und Tiefpunkten nicht fehlen läßt, abgesehen davon, daß Wilde selbst, der grandiose Schriftsteller, der glänzende Dandy der Londoner Gesellschaft, abgestürzt in die Tiefen der gesellschaftlichen Ächtung, in allen widersprüchlichen Farben schillert.
 
Dreimal wurde Oscar Wilde in den letzten Jahrzehnten auf die Leinwand gebracht, in Gestalt von Robert Morley, Peter Finch und, absolut ideal, Stephen Fry. Nun hat sich Rupert Everett als Autor und Regisseur, aber auch als Hauptdarsteller dieser Figur angenommen. Und da ist er – man kennt genügend Fotos von Wilde – schon grundsätzlich nicht wirklich richtig. Wilde, der schon in seiner Jugend optisch „schwammig“ wirkte (was sich im Lauf seines Lebens verstärkte), kann von einem Schauspieler von solch leptosomer Konstitution nicht wirklich überzeugend gestaltet werden.
Everett hat sich in seinem Drehbuch jedenfalls eines vorgenommen: Wilde in seiner allerletzten Zeit im französischen Exil (nach seinem Gefängnisaufenthalt in England) bis zum Tod zu begleiten und dabei nichts zu beschönigen, die Tragik auszureizen, auch die Peinlichkeit – wenn der etwa der alte Wilde von einer Bewunderin angesprochen wird und er sie um fünf Pfund anpumpt. Auch andere Demütigungen (wenn er attackiert und beschimpft wird) erspart der Film seinem Helden nicht.
Everett scheut sich auch nicht, Wilde als „alte Tunte“ auszustellen, der sich vor dem Spiegel schminkt (Blut hinter dem Ohr nimmt er als Lippenstift), bevor er ins Pub geht. Wobei das Drehbuch in einer Art fiebrigen Unruhe zwischen der späten französischen Gegenwart und Szenen der englischen Vergangenheit hin- und her springt, was nicht immer übersichtlich ist. Sprachlich pendelt man zwischen Englisch und Französisch, und hinter hektischer Fröhlichkeit, mit der Wilde sich nicht geschlagen geben will, steckt tiefe Traurigkeit, sein Paris-Exil ist eine von Krankheit und dauernden Geldnöten geprägte Existenz.
 
In vielen Rückblicken treten Freunde (Colin Firth als Reginald Turner, der bis zu Wildes Tod loyal zu ihm stand), Bekannte und seine alternde Ehefrau in England (Emily Watson) auf, die von Oscar zerstört wurde, wie er sich selbst zerstört hat. Das Chaos der Gefühle schwappt ebenso über wie Anfälle seltsamer Religiosität (Wilde will im Gefängnis Christus gesehen haben, Everett weidet diesen Komplex des Dichters aus). Man erlebt ihn wieder mit Lord Alfred (Colin Morgan), dessen Mutter den Sohn von Wilde „freikaufen“ will. Und immer wieder geht es ums Geld, was zu erniedrigenden Situationen führt. Kurz – so brutal geradeheraus wie Everett hat noch niemand Wildes Lebensabend geschildert.
 
„The Happy Prince“, der dem Film den Titel gibt, ist eine Wilde-Erzählung, die sich durch das – hauptsächlich wirre – Geschehen webt, bis zur finalen literarischen Sentimentalität (wobei Tod und Begräbnis-Peinlichkeiten auch in aller Gnadenlosigkeit ausgeschlachtet werden). Man fragt sich, ob Everetts Versuch, dem klassischen „BioPic“ zu entkommen, hier nicht durch einseitige Überzeichnung zum falschen Ergebnis geführt hat – daß man nämlich nicht wirklich das Gefühl hat, wie bei anderen Gelegenheiten auf der Leinwand die Figur dieses Oscar Wilde erkennen zu können. Andererseits muß man eingestehen, daß man diesem Menschen noch nie dermaßen jenseits jeglicher Beschönigung begegnet ist.
 
 
Renate Wagner